Alternative Proteine in Deutschland
Alternative Proteinquellen können das globale Ernährungssystem nachhaltiger und tierfreundlicher gestalten, Ursachen des Klimawandels beheben sowie die öffentliche Gesundheit verbessern. Das Good Food Institute (GFI) beleuchtet in seinem neuen Report »Alternative Proteine in Deutschland« die aktuellen Entwicklungen rund um nachhaltige Proteinquellen auf Basis von Pflanzen, Zellkultivierung und Fermentation. Wir fassen die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.
Marktentwicklung in Europa und Deutschland
Der GFI-Report zeigt zunächst auf, wie sich der Markt für pflanzliche Alternativprodukte in den letzten Jahren entwickelt hat. Demnach ist der Umsatz in Europa zwischen 2020 und 2022 um 21 % angestiegen. Deutschland führt dabei mit 1,9 Milliarden Euro Umsatz die Liste der größten Märkte für Alternativprodukte an, gefolgt von Großbritannien, Italien und Spanien.
Interessant ist der Vergleich mit tierischen Lebensmitteln: Während der Absatz von Fleisch aus Tierhaltung zwischen 2020 und 2022 um 13 % zurückgegangen ist, wurden 41 % mehr pflanzenbasiertes Fleisch verkauft. Bei Milch- und Käseprodukten zeigt sich eine ähnliche Entwicklung. So ist der Verkauf von Kuhmilch seit 2020 um 12 % zurückgegangen, während die Alternativprodukte um 43 % zugelegt haben.
Auch bei den Auswirkungen der Inflation auf den Markt zeigen sich zwischen den pflanzlichen und tierischen Produkten deutliche Unterschiede. Fleisch aus Tierhaltung ist 2022 durchschnittlich 15 % teurer geworden – die Preise für pflanzliche Alternativen stiegen lediglich um 1 %. Für pflanzliche Milch mussten die VerbraucherInnen durchschnittlich sogar 1,5 % weniger zahlen als im Jahr davor, während die Preise für Kuhmilch um 19 % anstiegen.
Das Konsumverhalten verändert sich
Dass sich das Konsumverhalten und die Präferenzen der Menschen in Deutschland verändern, zeigt auch eine repräsentative Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut OpinionWay für das Good Food Institute erstellt hat. Jede zweite Person gibt dort an, ihren Fleischkonsum in den letzten fünf Jahren reduziert zu haben (ob das wirklich so ist, ist fraglich, aber das Antwortverhalten lässt interessante Schlüsse auf einen Einstellungswandel und vermutlich auch auf die Bereitschaft zur Verhaltensänderung zu). 41 % der Befragten essen mindestens einmal pro Monat pflanzliche Fleischalternativen – 19 % tun dies einmal pro Woche und 25 % wollen künftig häufiger pflanzliches Fleisch essen. Bei Menschen unter 25 Jahren und Frauen ist diese Zahl noch höher.
35 % der Befragten möchten in den nächsten Jahren weniger Schweinefleisch essen. Als Hauptgründe dafür geben sie die Vermeidung von Tierleid (38 %) und den Klima- und Umweltschutz (37 %) an. 30 % möchten weniger Rindfleisch essen, 22 % weniger Geflügel.
Die Ergebnisse der Umfrage decken sich mit Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), nach denen der Konsum von tierischen Lebensmitteln immer stärker zurückgeht. Sie legen nahe, dass sich der Trend hin zu einer immer pflanzlicheren Ernährung weiter fortsetzen wird.
Im Fokus: Fleisch aus Zellkultivierung
Bei der Zellkultivierung handelt es sich um ein Verfahren, bei dem Zellen, die einem lebenden Tier entnommen wurden, in Bioreaktoren vermehrt werden und zu Muskeln, Fett und anderem Gewebe heranwachsen. Die Branche hat in den vergangenen Jahren wichtige Meilensteine erreicht: In Singapur wurde der Verkauf erster Produkte bereits zugelassen und auch in den USA haben mittlerweile zwei Unternehmen mit ihren Produkten die nötigen Sicherheitsprüfungen durchlaufen. Somit ist es laut GFI nur noch eine Frage der Zeit, bis VerbraucherInnen in den USA kultiviertes Fleisch kaufen können.
In Europa erreichen Produkte aus Zellkultivierung in Umfragen konstant hohe Akzeptanzwerte — und das, obwohl hier noch kein einziges Produkt auf dem Markt ist. In der Umfrage von OpinionWay halten 58 % der Menschen in Deutschland die Entwicklung von kultiviertem Fleisch für einen wichtigen Schritt. 57 % würden kultiviertes Fleisch kaufen, wenn es im Handel verfügbar wäre (bei den unter 25-Jährigen sind es sogar 82 %). Die Zustimmungsraten liegen hier bei Männern höher (62 %) als bei Frauen (52 %). Das ist bemerkenswert, weil Umfragen bei pflanzenbasiertem Fleisch regelmäßig zu umgekehrten Ergebnissen kommen. Mit kultiviertem Fleisch könnten sich also neue Zielgruppen erschließen lassen.
Chancen für die deutsche Wirtschaft
Das Good Food Institute weist darauf hin, dass es in Deutschland viele leistungsstarke Unternehmen im Bereich alternativer Proteine gibt, die teilweise einzigartige Ansätze verfolgen. Mindestens 70 Unternehmen arbeiten hierzulande an Produkten auf der Basis von Pflanzen, Zellkultivierung und Fermentation. Im Bereich Fermentation – bei der, vereinfacht gesagt, Mikroorganismen in die Lage versetzt werden, Proteine, Fette oder auch Vitamine in großen Mengen und zu sehr geringen Kosten herzustellen – gibt es in Deutschland nach den USA und Israel sogar die drittmeisten Startups.
Auch mit seiner leistungsfähigen und produktiven Forschungslandschaft sowie zahlreichen Industrieunternehmen und Dienstleistern in der Wertschöpfungskette hätte Deutschland laut GFI beste Voraussetzungen, um bei alternativen Proteinquellen eine Vorreiterrolle einzunehmen: »Dies würde der deutschen Volkswirtschaft einen bedeutenden Anteil am künftigen Wachstum sichern und die politischen Ziele in den Bereichen Klima-, Umwelt-, Gesundheits- und Tierschutz deutlich voranbringen.«_ _Das GFI bemängelt jedoch in seinem Report, dass dieses Potenzial aktuell noch viel zu wenig genutzt wird. Es sei vor allem viel mehr Unterstützung durch die Politik notwendig.
Die Rolle der Politik
Die Große Koalition hatte in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, pflanzliche Alternativprodukte zu stärken. Bislang wurden aber noch keine größeren Maßnahmen dazu umgesetzt oder auch nur angekündigt. Einige Beispiele aus dem GFI-Report zeigen, dass andere Länder schon deutlich weiter sind:
- In den Niederlanden wurden von der Regierung 60 Millionen Euro für den Aufbau eines Ökosystems für kultiviertes Fleisch und Präzisionsfermentation bereitgestellt.
- Singapur und Israel entwickeln den Sektor bereits seit einigen Jahren strategisch. In Israel wurden alternative Produkte vom Nationalen Rat für zivile Forschung und Entwicklung zu einer der fünf wichtigsten Forschungsprioritäten des Landes erklärt.
- In den USA finanziert das Landwirtschaftsministerium mit 10 Millionen US-Dollar ein Forschungszentrum für kultiviertes Fleisch. Präsident Biden hat zudem angeordnet, die Entwicklung alternativer Proteine stärker voranzubringen.
- Die chinesische Regierung investiert ebenfalls in alternative Proteine. Zudem hat das Land kultiviertes Fleisch in seinen Fünfjahresplan für die Landwirtschaft aufgenommen.
- In Großbritannien, Spanien, Belgien und Norwegen finden sich weitere Beispiele für die Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich alternativer Proteine.
Damit Deutschland zu den oben genannten Ländern aufschließen kann, sollte sich die hiesige Politik laut GFI auf fünf konkrete Handlungsfelder fokussieren: die Verankerung alternativer Proteine im Regierungsprogramm, den Ausbau der Forschungsförderung, verlässliche und effiziente Zulassungsverfahren für neue Produkte, die Unterstützung von Unternehmen in der kritischen Skalierungsphase sowie die Sicherung fairer Wettbewerbsbedingungen (dazu gehört beispielsweise, dass pflanzliche Produkte nicht länger bei der Mehrwertsteuer und der Benennung benachteiligt werden).
Fazit
Alternative Proteine bieten die große Chance, vielen Herausforderungen unserer Zeit parallel zu begegnen. Mit ihnen können die Umweltauswirkungen des Ernährungssystems reduziert, Risiken für die öffentliche Gesundheit verringert und mehr Menschen mit weniger Ressourcen ernährt werden.
Die Branche hat in den letzten Jahren starken Aufwind erfahren. Ein Ende dieser positiven Entwicklung ist nicht in Sicht – im Gegenteil. Sobald Fleischprodukte aus Zellkulturen zu wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar sind, werden traditionelle Fleischunternehmen, die sich nicht angepasst haben, ihre Geschäftsstrategie überdenken müssen.