Antibiotika: Schöne Zahlen, wenig Erfolg
Antibiotikaresistenzen sind eine globale Bedrohung sowohl für die Human- als auch die Veterinärmedizin. Seit vielen Jahren versuchen die EU-Staaten daher, ihren Antibiotikaeinsatz und damit Resistenzen zu reduzieren. Jüngst vermeldete Deutschland, die Verbrauchsmengen von Antibiotika in der Tierhaltung seien hierzulande gesunken. Wir zeigen, warum dieser Erfolgsnachricht mit Skepsis zu begegnen ist und was die neue Änderung des Tierarzneimittelgesetzes bringt.
Antibiotikaeinsatz geht zurück … bei vier Nutzungsarten
Im Dezember 2022 veröffentlichte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) einen Bericht zum Antibiotikaverbrauch bei zur Fleischerzeugung gehaltenen Rindern, Schweinen, Hühnern und Puten im Zeitraum 2017 bis 2021. Das Fazit ist auf den ersten Blick positiv, auch was die sogenannten Reserveantibiotika angeht. Einige Teufel stecken jedoch im Detail.
Ein wichtiger Punkt: Die Daten decken nicht alle Tier- und Nutzungsarten ab. Es fehlen vor allem Zahlen aus der Eierproduktion, Milchindustrie und Schweinezucht sowie aus Aquakulturen. Diese wurden bislang nicht erfasst.
Mit der Änderung des Tierarzneimittelgesetzes (TAMG), die seit dem 1. Januar 2023 gilt, soll sich das ändern: Der Antibiotikaeinsatz wird ab sofort bei allen Nutzungsarten von Hühnern, Rindern und Schweinen erfasst, also z. B. auch bei »Milchkühen, »Zuchtschweinen sowie »Jung- und Legehennen. Ab 2026 muss auch der Einsatz bei Enten, Gänsen, Schafen, Ziegen, Fischen, Pferden und für die Lebensmittelproduktion genutzten Kaninchen dokumentiert werden. Ab 2025 kommen Hunde und Katzen hinzu.
Ist es der Verbrauch, die Dosis oder die Zahl der Tiere?
Das BfR hat in seinem Bericht vier Kenngrößen zum Antibiotikaeinsatz untersucht. Entscheidend scheinen auf den ersten Blick die Verbrauchsmengen zu sein. Sie sind insgesamt leicht rückläufig, vor allem bei Schweinen merklich. Diese erhalten dennoch weiterhin die meisten Antibiotika: Mastschweine 102 Tonnen in 2021 (-32 t seit 2017) und Mastferkel 76 Tonnen (-28 t). Bei Mastputen wurden 2021 65 Tonnen (-10t) und bei Masthühnern 58 Tonnen (-7,6 t) Antibiotika eingesetzt. Bei Mastkälbern stagniert die Entwicklung bei knapp unter 50 Tonnen. Bei Mastrindern stagniert sie ebenfalls, aber auf einem vergleichsweise geringen Niveau, nämlich bei unter 1 Tonne. Insgesamt wurden 2021 351 Tonnen Antibiotika bei den untersuchten Masttieren eingesetzt, 78 Tonnen weniger als 2017.
Die Erfassung der Verbrauchsmengen in Tonnen ist allerdings irreführend, da gerade bei Puten und Schweinen auch die Tierzahlen zurückgegangen sind, was zu einem geringeren Antibiotikabedarf beiträgt. Hier wäre es sinnvoller, Antibiotikagaben aufs Tier bzw. mit der Population Correction Unit (PCU) aufs Kilogramm Körpergewicht umzurechnen. Eine andere Möglichkeit wäre die sogenannte definierte Tagesdosis (Defined Daily Dose). Sie gibt die durchschnittliche Tagesdosis eines Medikaments für ein erwachsenes Individuum an.
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat ausgerechnet (S. 23), dass Deutschland, bezogen auf alle landwirtschaftlich genutzten Tiere, mit 73,2 mg/PCU im Jahr 2021 im europäischen Vergleich sehr schlecht dasteht. Frankreich kommt mit 51,7 mg, die Niederlande mit 47,6 mg, Dänemark mit 33,4 mg und Schweden mit 10,9 mg aus.
Da unterschiedliche Wirkstoffe in unterschiedlichen Dosen verabreicht werden, um dieselbe Wirkung zu entfalten, sind jedoch auch PCU oder DDD, wenn sie für alle Antibiotika gemeinsam betrachtet werden, keine sicheren Indikatoren für eine erfolgreiche Reduktion. Eine Dosis kann bei einzelnen Wirkstoffen 20 mg Wirkstoff pro Kilogramm Körpergewicht, bei anderen 400 mg pro Kilogramm Körpergewicht sein. Außerdem macht es einen Unterschied, wie die Medikamente aufgenommen werden. Bei einer oralen Verabreichung geht bis zu 50 % des Wirkstoffs durch den Tierkörper hindurch und landet in der Gülle. Es ist also eine höhere Dosis im Vergleich zu einer parentalen Anwendung (am Magen-Darm-Trakt vorbei, also z. B. per Injektion oder Infusion) notwendig.
Hühnermast gibt Grund zur Sorge
Ebenfalls untersucht wurde im Bericht des BfR die betriebliche Therapiehäufigkeit. Sie gibt an, an wie vielen Tagen im Halbjahr ein Tier in Deutschland im Schnitt Antibiotika verabreicht bekommt. Sie ist bei fast allen untersuchten Nutzungsarten leicht gesunken – nicht jedoch in der Kälber- und Hühnermast. In der Kälbermast stieg sie seit 2017 im Schnitt um 0,9 Tage auf 13,3 Tage pro Halbjahr. In der Hühnermast stieg die Therapiehäufigkeit sogar um 5,3 Tage auf 23,5 Tage pro Halbjahr. Unterm Strich bedeutet das, »Masthühner« bekommen heute häufiger oder länger Antibiotika als 2017, mit Blick auf die Verbrauchsmengen jedoch nicht mehr.
Das liegt daran, dass einfach andere antibiotische Wirkstoffe eingesetzt werden. Die AutorInnen des Berichts erklären, dass der Einsatz des Reserveantibiotikums Colistin in der Hühner- und Putenmast zurückgegangen ist. Dieses wird dort meist sehr hoch dosiert verabreicht. Stattdessen werden nun häufiger Kombinationspräparate aus zwei Nicht-Reserveantibiotika (Aminoglykoside und Lincosamide) eingesetzt, die besser wirken und daher nicht so hoch dosiert werden müssen. Diese Entwicklung ändert also wenig am grundsätzlich zu großzügigen Einsatz der Antibiotika in der Hühnermast – und schafft im schlimmsten Fall neue Probleme, denn die kombinierte Anwendung mehrerer Antibiotika begünstigt, dass sich Resistenzen entwickeln.
Beim Blick auf die Betriebsgrößen in einer Untersuchung (S. 58) des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fällt außerdem auf, dass die größten Tierbestände auch am häufigsten mit Antibiotika behandelt werden müssen. Insbesondere in der deutschen Hühnermast nehmen die Bestandsgrößen immer mehr zu.
Entwicklung der Antibiotika-Resistenzen nicht eindeutig
Um die Effekte der Reduktionsstrategie zu messen, untersuchten die AutorInnen des BfR-Berichts auch, wie sich die Antibiotikaresistenzen – beispielhaft an E-Colibakterien – im Laufe der Jahre entwickelten.
Am höchsten sind die Resistenzraten bei Puten und Hühnern. Zwar wurde bei einigen untersuchten Nutzungsarten ein Rückgang von Resistenzen beobachtet. Bei Hühnern gab es jedoch auch Zunahmen von Resistenzen (gegenüber Ampicillin und Ciprofloxacin).
Am meisten entwickelten sich Resistenzen bei Mastputen und Mastschweinen zurück. Bei Mastkälbern und Jungrindern gab es keine Veränderungen. Jedoch: Einen direkten Zusammenhang zwischen einer Abnahme von Resistenzen und einem Rückgang im Antibiotikaeinsatz war nicht immer festzustellen. Dazu waren die Ergebnisse nicht deutlich (Anm.: und die Kennzahlen möglicherweise nicht aussagekräftig) genug. Das BfR empfiehlt daher, die Anstrengungen zur Reduktion des Antibiotikaeinsatzes zu intensivieren, um deutliche Ergebnisse zu erzielen.
Gesetzesänderung regelt mehr Dokumentation als Reduktion
Die Änderung des Tierarzneimittelgesetzes (TAMG) kann dabei helfen, den Antibiotikaverbrauch in Deutschland und Europa lückenloser und aussagekräftiger als bislang zu erfassen. Sie bietet jedoch wenig, was zur tatsächlichen Reduktion beiträgt.
Neben der eingangs erwähnten Erweiterung der zu erfassenden Tier- und Nutzungsarten geht nun die Mitteilungspflicht über die Arzneimittelverwendung von den TierhalterInnen auf die TierärztInnen über. Außerdem werden die Daten an die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) übermittelt, wie auch die anderer EU-Staaten.
In Bezug auf Reserveantibiotika versucht das TAMG ein Schlupfloch für die Massentierhaltung zu stopfen: Für kritische Antibiotika, die nicht durch die EU für Tiere gesperrt sind, sowie für sogenannte One-Shot-Präparate legt es einen Gewichtungsfaktor fest (3 bzw. 5). Das heißt, diese Mittel zählen bei der betrieblichen Therapiehäufigkeit mehr. Ein guter Ansatz, den man auf alle Antibiotika ausweiten sollte, um nicht nur reine Mengenangaben zu erfassen, sondern auch der tatsächlichen Wirksamkeit der Antibiotika gerecht zu werden. Ein Gewichtungsfaktor ändert jedoch erst einmal nur die Erfassung des Verbrauchs. Wichtig wäre, dass auch Konsequenzen folgen, wenn Reduktionsziele verfehlt werden.
Immerhin sind Behörden nun gesetzlich verpflichtet, Anordnungen und Maßnahmen zu treffen, wenn dies zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes in einem tierhaltenden Betrieb erforderlich ist. Bislang durften sie nach eigenem Ermessen entscheiden, ob sie Maßnahmen anordnen. Es wird sich zeigen, wieviel das bringt.
Für das Reserveantibtiotikum Colistin wurde mit der TAMG-Novelle zudem die Grundlage für ein nationales Verbot gelegt, das die orale Anwendung von Colistinpräparaten bei landwirtschaftlich genutzten Tieren verbieten soll. Währenddessen schaffen es andere EU-Staaten bereits, in der Tierhaltung ganz oder fast ganz auf Colistin zu verzichten, mahnt Reinhild Benning von der Deutschen Umwelthilfe.
Die Lösung: Weniger und gesündere Tiere
Im TAMG ist nun erstmals ein konkretes Reduktionsziel verankert: Die Verkaufszahlen an die landwirtschaftliche Tierhaltung sollen bis 2030 um 50 % reduziert werden. Das entspricht auch der Farm-to-Fork-Strategie der Europäischen Kommission für ein nachhaltiges Ernährungssystem. Wie oben beschrieben gibt es jedoch Möglichkeiten, diese Zahlen zu reduzieren, ohne den Antibiotikaeinsatz ernsthaft einzuschränken, z. B. indem wirksamere Wirkstoffe in geringeren Dosen eingesetzt werden. Das Risiko für Antibiotikaresistenzen würde dadurch eher steigen. Doch selbst was die reinen Verkaufszahlen angeht, passiert noch zu wenig: Einer Prognose der ETH Zürich aus dem Jahr 2020 zufolge, werden die Antibtiotikaverkäufe in Europa bis 2030 um 6,7 % steigen – das ist ein Alarmsignal.
Mit weiteren Schein- und Mini-Fortschritten wird das 50-Prozent-Ziel wohl kaum zu erreichen sein. Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland, wie bereits erwähnt, eher schlecht ab. Das liegt auch an der zögerlichen Agrarpolitik. Strenge Maßnahmen sowie eindeutige Indikatoren fehlen nach wie vor. Die Niederlande dagegen fördern finanziell, dass TierhalterInnen ihre Bestände reduzieren und in Dänemark setzt man auf strengere Kontrollen. Vier dänische Schweinefleischproduzenten (u. a. Danish Crown und Wiking Meat) praktizieren sogar antibiotikafreie Mast – die durch tiergerechteres Futter, mehr Platz und weniger Stress bei 85 % der Tiere gelingt. Auch ein deutscher Wursthersteller schwört darauf.
Das zeigt: Am meisten hilft es, die Tierhaltung selbst zu verändern. Medikamente dürfen keine schlechte Tierhaltung ausgleichen. Tiergerechtere Haltung und Fütterung, ein Ende der Überzüchtung zu Lasten der Robustheit und kleinere Bestände führen nachgewiesenermaßen zu gesünderen Tieren. Das kann nicht nur den Einsatz von Antibiotika, sondern auch die Entwicklung gefährlicher Zoonosen verringern. Insbesondere in der Hühnermast ist diesbezüglich noch viel Luft nach oben. Die drängendsten der notwendigen Veränderungen unterstützen wir dort mit der Europäischen Masthuhn-Initiative.