Cookie Consent by PrivacyPolicies.com
Informiert bleiben Icon Papierflieger

Ethikrat fordert Ende der Massentierhaltung

In seiner Stellungnahme »zum verantwortlichen Umgang mit Nutztieren« gleicht der Deutsche Ethikrat die gesellschaftlichen Wertvorstellungen mit der landwirtschaftlichen Praxis ab. Sein Fazit ist verheerend.

Die Realität ist nicht mit unseren Werten vereinbar

Für immer mehr Menschen spielt es eine Rolle, wie es landwirtschaftlich genutzten Tieren geht. In der Massentierhaltung ist davon jedoch nichts zu merken: Den Tieren werden oft routinemäßig Schmerzen und Leid zugefügt. Der Ethikrat sieht daher einen »erheblichen Bedarf an praktischen Reformen«.


Steffen Augsberg, Sprecher der Arbeitsgruppe »Tierwohl« im Deutschen Ethikrat, formulierte es auf der Pressekonferenz zur Vorstellung der Stellungnahme am 16. Juni 2020 noch schärfer: »Ich kenne kein einziges Rechtsgebiet, in dem so heuchlerisch vorgegangen wird wie im Tierschutzrecht«.


Als Eckpunkte für einen verantwortlichen Umgang definiert der Deutsche Ethikrat folgende:

1. Tiere haben einen eigenen moralischen Status

Zumindest höher entwickelte Tiere haben für den Ethikrat einen »Eigenwert«. Ihnen kommt ein moralischer Status zwischen Mensch und Sache zu. Aus diesem ergibt sich eine besondere Schutzwürdigkeit und eine Verantwortung für den Menschen, die seinen Nutzungsinteressen Grenzen setzt.


Vor diesem Hintergrund kritisiert der Ethikrat explizit lange Übergangsfristen, z. B. für die betäubungslose Ferkelkastration oder Kastenstände, als »nicht hinnehmbar«. Das Tierwohl darf dem Nutzen für Menschen nicht stets und absolut untergeordnet werden. Besonders ökonomische Gründe reichen nicht, um Tieren zu schaden. Das betont der Ethikrat in seiner Stellungnahme mehrfach.


»Tierwohl« umfasst für den Ethikrat »sowohl den körperlichen Zustand von Tieren als auch ihr subjektives Wohlbefinden«. Der Begriff bezeichnet ein breites Spektrum von Zuständen des physischen und psychischen Wohlergehens. Um dieses Wohlergehen zu erkennen, kann man heute auf zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden zurückgreifen. Der Tierwohl-Begriff des Ethikrats ist somit konkreter als der der Tierindustrie.

2. Menschen müssen für das Wohlergehen von »Nutztieren« sorgen

Allen »Nutztieren« muss der Mensch während ihres gesamten Lebens ein »möglichst gutes Gedeihen und Befinden« ermöglichen, so der Ethikrat. Die Kosten dafür hat die gesamte Gesellschaft zu tragen, z. B. durch eine »Tierwohlsteuer« auf Tierprodukte.


Menschen können die Schmerzen und Leiden von Tieren oft nicht klar erkennen. Deshalb dürfen sie jedoch nicht einfach davon ausgehen, es gäbe sie nicht. Der Ethikrat betont, dass Tierschutzvorgaben einzuhalten sind und nicht uminterpretiert oder umgangen werden dürfen. Um Unklarheiten zu beseitigen, schlägt er vor, das Tierschutzrecht stärker auf das Tierwohl hin auszurichten.


Zudem fordert der Ethikrat, dass Tiere in unserer Gesellschaft besser repräsentiert werden müssen. Die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) für Tierschutzfragen sieht er daher als problematisch an.


Konkret empfiehlt der Deutsche Ethikrat, Qualzucht und Verstümmelungen zu verbieten. Überhaupt lehnt er alles ab, was ein artspezifisches Verhalten und Erleben behindert, z. B. enge trostlose Ställe oder die frühe Trennung von Mutter und Kind. Auch fordert er besser ausgebildetes und bezahltes Personal sowie geeignetere Technik, z. B. in Schlachtbetrieben und Transportunternehmen, und regionale Verarbeitungsketten.

3. Tierisches Leben muss geachtet und geschützt werden

Wer Tiere halten, züchten, nutzen oder töten möchte, obwohl aus ethischer Sicht vieles dagegen spricht, muss sein Handeln sehr gut begründen. Noch kein ausreichender Grund ist es, so der Ethikrat, dass Menschen sich von Tieren ernähren können oder wollen. Er lehnt Tierprodukte als Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung zwar nicht ab, notwendig sind sie seiner Meinung nach jedoch nicht.


Auch die Argumente, dass Tiernutzung zu unserer Kultur und Tierprodukte für viele Menschen zu einem »guten Leben« gehören, erkennt der Ethikrat teilweise an. Dies befreit jedoch nicht davon, das eigene Handeln immer wieder neu zu hinterfragen, mahnt er.


Tierprodukte haben einen besonderen Wert, der sich nach Ansicht des Deutschen Ethikrats auch im Preis widerspiegeln sollte. Zudem dürfen Tiere nicht getötet werden, nur weil sie ökonomisch »nutzlos« sind, wie z. B. männliche Küken und Kälber. Landwirtschaftlich genutzte Tiere sollen außerdem vor ihrem Tod eine gewisse Zeit ohne Qualen leben dürfen.


Pflanzliche Alternativen zu Fleisch, Milch & Co., aber auch Fleisch aus Zellkulturen, begrüßt der Ethikrat als indirekten Beitrag zum Tierwohl. Er wünscht sich, dass fleischfreie Optionen gefördert und öffentliche Einrichtungen dazu verpflichtet werden, sie anzubieten. Auch fordert er eine klare Kennzeichnung der Herkunft und Haltungsbedingungen bei Tierprodukten.

Tierwohl ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Die Eckpunkte umzusetzen, sieht der Deutsche Ethikrat als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Konsumenten alleine hätten z. B. oft nicht die Möglichkeiten, sich für Tierwohl zu entscheiden. Vielmehr sieht der Ethikrat die deutsche und europäische Politik in der Verantwortung, einen »angemessenen strukturierten Transformationsprozess [zu] gestalten« – im Diskurs mit allen Akteuren.


Besonders die Position der Amtstierärtze muss gestärkt werden, so der Ethikrat, um die Umsetzung bestehender Vorgaben besser zu kontrollieren. Wenn es sich dabei um VeterinärInnen handelt, die sich dem Schutz der Tiere verpflichtet haben, stimmen wir dem gerne zu.

Fazit: Der Ausstieg aus der Massentierhaltung ist unumgänglich

Die Stellungnahme des Deutschen Ethikrats ist ein wichtiges Tierschutz-Plädoyer. Seine Aussagen zu ökonomisch motivierter Tierquälerei, zu Zucht, Haltung, Transport und Schlachtung, zum Tierschutzrecht, zur Kennzeichnung und dazu, wie ein Wandel anzustoßen wäre, decken sich ganz überwiegend mit den unseren.


Der Ethikrat definiert Massentierhaltung »als eine Form der Nutztierhaltung, die durch hohe Tierbestände und eine quasi-industrielle Produktionsform gekennzeichnet ist.« Seine Stellungnahme greift alles an, was diese Industrie ausmacht. Sie deckt alle wichtigen Forderungen von Tierschützern ab und ist ein Weckruf an die Politik, die sich seit mehreren Jahrzehnten weitestgehend in den Fängen der Tierindustrie-Lobby befindet.