Ferkelkastration: Die Alternativen
In Deutschland war es bis vor wenigen Jahren erlaubt und üblich, männlichen Ferkeln ohne Betäubung die Hoden herauszuschneiden. 2013 beschloss die Bundesregierung das Ende dieser tierquälerischen Praxis mit Frist zum 1. Januar 2019. Weil die favorisierte Alternative (die Inhalationsnarkose) nicht rechtzeitig flächendeckend einsatzbereit war, wurde das Verbot 2018 nochmals um weitere zwei Jahre aufgeschoben.
Seit Anfang 2021 darf nun die chirurgische Kastration eines Ferkels, die gewöhnlich in der ersten Lebenswoche erfolgt, nur mit einer Betäubung durchgeführt werden. Es muss außerdem garantiert sein, dass das Tier dabei keine Schmerzen spürt.
Die Kastration soll den sogenannten Ebergeruch verhindern, den geschlechtsreife Eber entwickeln können (mehr dazu im Abschnitt zur Ebermast, und macht die Tiere ruhiger, was die Haltung in den beengten Verhältnissen der Massentierhaltung erleichtert. LandwirtInnen setzen seit dem Verbot der betäubungslosen Kastration vor allem auf verschiedene Narkosemethoden. Aus Tierschutzsicht wäre es dagegen besser, den Tieren den chirurgischen Eingriff ganz zu ersparen.
Hier finden Sie einen Überblick über die Optionen:
Injektionsnarkose
Üblicherweise wird Tieren bei chirurgischen Eingriffen ein Narkosemittel gespritzt, das sie ruhig stellt. Zusätzlich schalten Schmerzmittel die Schmerzen aus. Diese Methode gilt für die Massentierhaltung allerdings als unpraktikabel: Jede Injektionsnarkose muss durch einen oder eine VeterinärIn durchgeführt und überwacht werden. Außerdem ist die Aufwachphase mit mindestens drei Stunden verhältnismäßig lang, in dieser Zeit müssen die Ferkel beaufsichtigt werden, damit sie zum Beispiel nicht unterkühlen. Trotzdem setzen einige Betriebe aus verschiedenen Gründen auf diese Methode.
Inhalationsnarkose
Einfacher ist die Betäubung der Ferkel mit dem Gas Isofluran. Es wurde erst 2018 für diesen Zweck zugelassen. Die Tiere schlafen damit schnell ein und sind auch schnell wieder wach. Wie bei der Injektionsnarkose müssen zusätzlich Schmerzmittel gegeben werden, da Isofluran die Tiere nur ruhig stellt. Das Einfangen und dass sie kopfüber in die Atemmaske gelegt werden, bedeutet Stress für die Ferkel. Von dem chirurgischen Eingriff bleibt zudem eine Wunde zurück, die sich entzünden kann.
Um der Agrarindustrie weiter entgegenzukommen, verabschiedete die Bundesregierung 2020 die »Ferkelbetäubungssachkundeverordnung«. Sie erlaubt TierhalterInnen, nach kurzer Schulung die Isofluran-Narkose selbst durchzuführen. Dass dadurch LaiInnen komplexe medizinische Tätigkeiten ausführen, sehen wir und viele TierärztInnen sehr kritisch. Es birgt nicht nur die Gefahr, dass Fehler passieren, sondern auch gesundheitliche Risiken für Menschen. Außerdem ist Isofluran klimaschädlich, wenn es bei unsachgemäßer Handhabung in die Atmosphäre gelangt.
Obwohl die Methode von den meisten LandwirtInnen favorisiert wird, wurden bis Ende 2020 nur zwei Drittel der bereitgestellten Fördermittel für die Umstellung auf Isofluran abgerufen. Coronabedingt konnten zudem nicht so viele Schulungen für LandwirtInnen stattfinden wie geplant. Auch kam es anfangs häufiger zu Fehlfunktionen und Bedienfehlern im Umgang mit den sensiblen Inhalationsgeräten.
Ebermast
Die Mast unkastrierter Eber ist die einzige Alternative, die völlig ohne Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Tiere auskommt. Sie ist zum Beispiel in Großbritannien, Irland, Spanien und Portugal vorherrschend. In Deutschland waren im Juni 2020 immerhin 20 % der Eber in den Mastbetrieben nicht kastriert. Da unkastrierte Eber aktiver und auch aggressiver gegenüber Artgenossen sind, brauchen sie mehr Platz und Beschäftigungsmöglichkeiten als in der Massentierhaltung üblich, um sich nicht gegenseitig zu verletzen.
Das Fleisch der Tiere kann aufgrund der Geschlechtshormone unangenehm riechen. Dies betrifft laut Untersuchungen jedoch nur 1,4 bis 5 % der Eber und lässt sich durch Haltung und Fütterung beeinflussen. Ein Drittel der Menschen kann den Geruch überhaupt nicht wahrnehmen, ein weiteres Drittel ist dagegen hochempfindlich. Viele LandwirtInnen schrecken aus diesen Gründen sowie aufgrund des notwendigen Stallumbaus vor der Ebermast zurück. In anderen Ländern werden die Tiere geschlachtet, bevor sie den Ebergeruch entwickeln können.
Immunokastration
Ein guter Kompromiss ist die Impfung der Ferkel mit dem Mittel Improvac. Es wird zwei- bis dreimal durch den oder die TierhalterIn injiziert und unterdrückt die Geschlechtsreife. Nach unserer und auch nach Ansicht vieler ExpertInnen, zum Beispiel des Friedrich-Loeffler-Instituts (dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit), ist die Immunokastration die tierschutzfachlich beste Methode. Sie bedeutet nur einen geringen Eingriff am Tier und reduziert das Stresslevel der Tiere im Vergleich zu unkastrierten Ebern.
Die Immunokastration ist bereits in mehr als 60 Ländern zugelassen. In Deutschland waren im Juni 2020 allerdings lediglich mal 1 % der Eber immunokastriert. Schlachtbetriebe und Handel nehmen die Tiere nicht gerne ab. Im Ökolandbau ist Improvac derzeit gar nicht zugelassen – ein fatales Signal. Die Bedenken sind oft unbegründet und auch für die Befürchtung, dass VerbraucherInnen das Fleisch der immunokastrierten Eber ablehnen würden, gibt es keine Belege.
Eine Feldstudie zur Impfung gegen Ebergeruch (»FINGER«) kam 2023 zu dem Fazit, dass immunokastrierte Eber in Bezug auf die Fleischqualität mit weiblichen »Mastschweinen« vergleichbar sind. Die Immunokastration sei daher praxistauglich und das Fleisch der Tiere müsse nicht gesondert gekennzeichnet werden. Zudem sei der ökologische Fußabdruck immunokastrierter Eber um 6 bis 10 % besser als bei chirurgisch kastrierten Ebern, da sie Futter besser verwerten. Die Methode sei tiergerecht, sicher und ökologisch nachhaltig und sollte daher auch im Biobereich zugelassen werden. Die Ergebnisse der Feldstudie wurden durch die sogenannte Kieler Erklärung von VertreterInnen aus Landwirtschaft, Wissenschaft, Tierschutz und Handel anerkannt.
Davon abgesehen wird die Immunokastration seit über 20 Jahren in verschiedenen Ländern genutzt, zum Beispiel in Australien und Neuseeland. In Europa ist sie in Belgien relativ weit verbreitet, auch weil dort große Handelsketten diese Methode unterstützten.
Nicht erlaubt: Lokalanästhesie
Einige LandwirtInnen hoffen darauf, ihre Tiere selbst unter lediglich lokaler Betäubung kastrieren zu dürfen, wie es in einigen europäischen Ländern erlaubt ist. In Deutschland ist das jedoch verboten, weil bei dieser Methode der Schmerz nicht vollständig ausgeschaltet werden kann. Zudem ist bereits die Injektion in den Samenstrang schmerzhaft und die Tiere müssen bei Bewusstsein fixiert werden, was Stress verursacht.
Fazit: Es geht immer noch besser
Dass in Deutschland die Kastration von Ferkeln ohne Betäubung mittlerweile verboten ist und die Tiere dabei keine Schmerzen spüren dürfen, ist ein echter Erfolg für den Tierschutz. Für die Schweine bedeutet es ein schmerzhaftes und traumatisierendes Erlebnis weniger in ihrem Leben.
Die aus unserer Sicht beste (realistische) Alternative ist die Immunokastration, da sie den Tieren sowohl einen chirurgischen Eingriff als auch Stress durch aggressives Verhalten erspart. Diese Methode ist allerdings auf mehr Offenheit von LandwirtInnen, Schlachtbetrieben und Handel angewiesen.
Eine vermehrte Haltung gänzlich unkastrierter Eber wäre ebenfalls vorstellbar, müsste allerdings zwingend mit höheren Haltungsstandards einhergehen, vor allem in Bezug auf das Platz- und Beschäftigungsangebot.