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Interview: Möglichkeiten der Lebensmitteltechnologie

Nicht zuletzt dank innovativer Lebensmitteltechnologie sind pflanzliche Alternativen zu Fleisch- und Milchprodukten längst kein Trend mehr, sondern im Mainstream angekommen. Welche Rolle spielt die Branche in Zukunft und welche Herausforderungen sind zu meistern? Antworten darauf aus seiner Sicht gibt Dr. Matthias Moser, Geschäftsführer von Hydrosol. Das international stark wachsende Unternehmen produziert Stabilisierungs- und Texurierungssysteme für Lebensmittel.


Herr Moser, wie bewerten Sie den Stellenwert, der Lebensmitteltechnologie heute zukommt, und wie die Entwicklung der letzten Jahre?


Die Herausforderungen für die Lebensmitteltechnologie haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Früher ging es vornehmlich um Einzelaspekte wie stabilisierende oder emulgierende Eigenschaften, Frischhaltung oder Aromatisierung. Heute beschäftigen wir uns mit funktionellen Systemlösungen – also Kombinationen mehrerer Functional Ingredients – und nachhaltigen Produktkonzepten, die sehr häufig  in die gewohnten Produktionsabläufe integriert werden können. Dabei werden wir mit einer Polarisierung der Märkte und entsprechend unterschiedlichen Verbraucheransprüchen konfrontiert. Während die Produkte in gesättigten Märkten trendgerechten, gesunden Genuss im Convenience-Format bieten und gleichzeitig ethischen sowie ökologischen Werten Rechnung tragen sollten, sind in Entwicklungs- und Schwellenländern gesunde, leckere Lebensmittel zu erschwinglichen Preisen gefragt. Betrachtet man zudem die steigende Weltbevölkerung, wird klar, welche Bedeutung die Lebensmitteltechnologie und die Food-Ingredients-Hersteller heute und in Zukunft haben:  Funktionale Lebensmittelsysteme nehmen eine Schlüsselposition in der Lebensmittelindustrie ein. Unsere Branche ist somit eine der Zukunftsbranchen des 21. Jahrhunderts.


Eine Herausforderung des 21. Jahrhunderts sind die umfangreichen ökologischen Auswirkungen der »Nutztierhaltung«. Worin sehen Sie die Kernkompetenz von Hydrosol bei der Entwicklung pflanzlicher Alternativen?


Neben Soja bietet der Markt mittlerweile ein umfangreiches Sortiment an pflanzlichen Proteinquellen. Wir untersuchen bei Hydrosol die unterschiedlichen Quellen und ihre Einsatzmöglichkeiten schon seit einigen Jahren. Mittlerweile haben wir Hunderte von Anwendungsversuchen hinter uns und eine fundierte Datenbank zu den Charakteristika der verschiedenen Proteine aufgebaut. Diese wird kontinuierlich erweitert. Denn detaillierte Kenntnisse über die Eigenschaften der einzelnen Proteine sind Voraussetzung für die Qualität des jeweiligen Endprodukts. Schließlich eignet sich nicht jedes Protein für jede Anwendung.


Hat der Anteil der pflanzlichen Alternativen am Umsatz Ihres Unternehmens zugenommen?


Schon allein aufgrund unseres breiten Portfolios hat der Anteil zugenommen. Wir bieten Systemlösungen für eine große Bandbreite pflanzlicher Endprodukte an. Die Auswahl reicht von Alternativen zu Milch, Joghurt, Käse, Eiscreme über Feinkost bis hin zu veganen Fleisch- und Wurstalternativen – ob Aufschnitt, Würstchen für den Heiß- und Kaltverzehr, vegane Hackprodukte, Schnitzel oder Filetstreifen. Dazu kommen Fischstäbchen-Analoge oder andere panierte Produkte. Mit anderen Worten: Wir haben viel Energie investiert, um uns bei Proteinen eine besondere Expertise zu erarbeiten.


Gibt es Punkte, die man aus der Ihrer Sicht in der Kommunikation gegenüber dem Konsumenten verbessern könnte oder gar sollte?


Essen ist eine sehr emotionale Angelegenheit – heute mehr denn je. Laut Trendforschung wird es mehr und mehr zum Statussymbol. Vor diesem Hintergrund ist eine sachliche und fundierte Berichterstattung zu Produkten oder Inhaltsstoffen nicht immer einfach. Bestes Beispiel ist das Thema »Analog-Käse«, das noch vor einigen Jahren in den Medien kritisch diskutiert wurde. Heutzutage sind pflanzliche Alternativen zu Käse unter dem Label »vegan« ein bedeutendes Marktsegment geworden und stark nachgefragt. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig eine sachbezogene Diskussion ist. Mit diesen Herausforderungen müssen wir uns auseinandersetzen – ebenso wie mit der Tatsache, dass der Konsument ambivalent ist. Er wünscht sich einerseits gesunden Genuss und hohe Qualität, andererseits sollte diese Qualität zu niedrigen Preisen erhältlich sein.


Wie wird sich aus Ihrer Sicht der Markt und die Nachfrage von Fleisch- und Milchalternativen in den kommenden Jahren entwickeln?


Pflanzliche Alternativen zu Fleisch und Milchprodukten werden weltweit mehr und mehr zum Standard. Das bestätigen Trendforscher ebenso wie die aktuellen Marktzahlen. Betrachtet man allein die Fleischproduktion, wird deutlich, warum pflanzliche Alternativen diesen Stellenwert haben. Laut Welternährungsorganisation wird der Bedarf an Fleisch bis zum Jahr 2050 um das Anderthalbfache auf 470 Millionen Tonnen pro Jahr steigen. Nach derzeitigem Stand müsste bei dem prognostizierten Bevölkerungswachstum die landwirtschaftliche Produktion um 60 bis 110 Prozent steigen, um diesen Bedarf zu decken. Hinzu kommt, dass vielen Konsumenten durch negative Schlagzeilen wie Fleischskandale oder wegen des enormen CO2-Ausstoßes bei der Massentierhaltung der Appetit auf Fleisch vergeht. Vegane oder eine stärker pflanzenbasierte Ernährung ist daher längst kein Trend mehr – zumal sich pflanzliche Alternativen zu Fleisch- und Milchprodukten dank intelligenter Stabilisierungs- und Texturierungssysteme in puncto Geschmack und Textur kaum noch von tierischen Erzeugnissen unterscheiden.


Beobachten Sie bezüglich veganer und vegetarischer Produkte Verschiebungen am Markt?


Die Nachfrage nach veganen Produkten steigt, wobei alternative Milchprodukte zu den Wachstumstreibern gehören. Verschiedene Marktforschungsinstitute prognostizieren für die kommenden Jahre bei Milchalternativen jährliche Wachstumsraten von rund zwölf Prozent. Bei Eiscreme sind es knapp zehn Prozent, bei Ei-Ersatz etwa sechs Prozent. Fleischalternativen liegen durchschnittlich zwischen sechs und acht Prozent. Daran zeigt sich, dass vegane Ernährungsformen weiter zunehmen werden. Offen ist allerdings, ob es sich dabei um den konsequenten Verzicht auf tierische Produkte handelt oder weiterhin um die große Zielgruppe der Flexitarier, die vegane Produkte zunehmend in ihren Ernährungsstil integrieren.


In welchen Produktkategorien sehen Sie aktuell die größten und wichtigsten Tätigkeitsfelder in der Entwicklung pflanzlicher Alternativen?


Die wichtigsten Bereiche sind Alternativen zu Fleisch- und Milchprodukten. Aber auch die Nachfrage nach Fisch-Alternativen wächst. Neben diesen Grundnahrungsmitteln sind Eiscreme und Feinkost weitere interessante Gebiete.


Was sind aktuell die Wünsche an die Beschaffenheit von Produkten – sowohl seitens der Lebensmittelwirtschaft als auch seitens der Konsumenten? Worauf legt man besonders großen Wert?


Geschmack und Textur sind die zentralen Erfolgsfaktoren. Ein veganes Produkt kann noch so tolle Proteinwerte haben, noch so gesund und trendy sein – wenn der Genusswert nicht überzeugt, wird der Konsument es kein zweites Mal kaufen. Deshalb achten unsere Lebensmitteltechnologen bei den Anwendungsversuchen neben technischen Aspekten wie der Einsatzfähigkeit im geplanten Prozess vor allem auf die sensorischen Eigenschaften der einzelnen Proteine. Geschmack und Beigeschmack, Textur, Mundgefühl und Farbe sind wesentliche Kriterien.


Gibt es Alternativprodukte, die aktuell noch schwieriger realisierbar sind oder die aus Ihrer Sicht von den Entwicklungsteams noch verstärkt angegangen werden könnten?


Die typische Textur von Muskelfleisch stellt für Alternativprodukte auf pflanzlicher Basis eine der größten Hürden dar. Dies gilt übrigens auch für das viel diskutierte Fleisch »aus Zellkulturen«. Wem es gelingt, diese Herausforderung mit einem pflanzlichen Produkt zu lösen, der wird damit sehr viel Erfolg haben.


Wie beurteilen Sie den Kostenfaktor? Ist hier kurz- oder mittelfristig noch Raum für pflanzliche Alternativen, konventionelle Produkte im preislichen Wettbewerb zu schlagen?


Auf jeden Fall. Mit intelligenten Systemlösungen können wir schon jetzt die Wünsche der Industriepartner in den unterschiedlichen Märkten erfüllen – egal, ob sie neue Trendprodukte im Premiumsegment auf den Markt bringen möchten oder auf preisbewusste Produkte setzen. Bestes Beispiel ist der Fleischbereich. Hier haben wir Stabilisierungs- und Texturierungssysteme entwickelt, mit denen Hersteller pflanzliche Alternativen zu Fleisch und Wurst auf klassischen Anlagen wie Kutter und Abfülltechnik verarbeiten. Für die Produzenten sind somit keine großen Investitionen in neue Maschinen notwendig. Das kommt natürlich auch den Konsumenten zugute, die qualitativ hochwertige und moderne Endprodukte zu moderaten Preisen erhalten.


Wie bewerten Sie die Notwendigkeit, sich bei pflanzlichen Alternativen verstärkt mit den Themen »Clean-Label«, »Nachhaltigkeit« oder »gesundheitlicher Mehrwert« auseinanderzusetzen?


Das machen wir bereits. Unser neuer All-in-Compound »Sundogs« zur Herstellung von pflanzlichen Würsten für den Heißverzehr passt punktgenau in dieses Szenario. Er basiert auf Pflanzenprotein aus Sonnenblumen und Erbsen und bietet damit klare Deklarationsvorteile: Er ist frei von Allergenen wie Soja und Gluten. Darüber hinaus enthält er weder Ei- noch Milchbestandteile. Wie all unsere veganen Wurst-Alternativen ist er phosphat- und nitritfrei. Außerdem verzichten wir auf Geschmacksverstärker. Aus gesundheitlicher Sicht ist von Vorteil, dass die pflanzlichen Würstchen kein Cholesterin enthalten. Hinzu kommt, dass beispielsweise Sonnenblumen oder Erbsen als einheimischer, regionaler Rohstoff hinsichtlich Klima- und Ressourcenschutz punkten und frei von Gentechnik sind.


Welche Produkte und Lösungen verkaufen sich aktuell besonders gut?


Neben Klassikern wie Alternativen zu Aufschnitt und Würstchen sind zurzeit vor allem vegane Salami, Frikadellen und Hackbällchen am Markt gefragt.


Gibt es Verschiebungen bei den Grundzutaten der Alternativen? Falls ja: Wohin geht die Reise beim Angebot verschiedener Proteinquellen?


Aufgrund der Gen-Thematik und des allergenen Potenzials lässt die Nachfrage nach Soja deutlich nach. Stattdessen rücken Proteinquellen wie Erbsen, Reis, Hafer oder auch Kokosnuss immer mehr in den Vordergrund. Dazu kommen neue Varianten wie Lupine, Sonnenblumen oder auch Algen.


Gibt es gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Hindernisse, die aus Ihrer Sicht den Erfolg dieser Alternativen im Moment noch bremsen?


Die größte Bremse ist der Verbraucher. Der Prozess des Umdenkens schreitet in der Gesellschaft nur langsam voran. Bei der jüngeren Generation hat bereits ein Bewusstseinswandel eingesetzt. Kinder beeinflussen dabei zunehmend ihre Eltern. Ältere Konsumenten ab ca. 45 Jahren bevorzugen aber immer noch die klassischen Milch- und Fleischerzeugnisse – nicht zuletzt auch deshalb, weil gerade Fleisch vielfach zu Dumpingpreisen angeboten wird. Auch hier ist ein Umdenken notwendig.


Wohin geht aus Ihrer Sicht die Entwicklung des Marktes von Alternativprodukten in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren?


Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung ist die Versorgung künftiger Generationen mit sicheren, bezahlbaren und wohlschmeckenden Lebensmitteln eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Wir arbeiten deshalb intensiv an zukunftsträchtigen Konzepten, die eine ausreichende Versorgung mit alternativen Proteinen sicherstellen. Wie bereits erwähnt wird die Nachfrage nach alternativen Proteinquellen weiter steigen.


Sie positionieren sich in Ihrer Kommunikation, etwa auf Ihrer Website, stark zum Thema »vegan«. Ist eine solche klare Kommunikation der Kompetenzen im veganen Bereich umgekehrt auch zusätzliche Motivation für die Entwicklungsteams oder war es anfangs vielleicht sogar eine Herausforderung, sich dieses Zukunftsthemas verstärkt zu widmen?


Für die Entwicklung unserer Systemlösungen erforschen wir von Haus aus das Zusammenspiel der zahlreichen Einzelkomponenten, zu denen auch Proteine gehören. Da wir Kunden aus aller Welt bedienen, haben wir schon vor vielen Jahren Funktionssysteme für rekombinierte Milchprodukte entwickelt, die insbesondere in heißen Regionen mit geringem Frischmilchaufkommen gefragt sind. Häufig wird dabei aus wirtschaftlichen Gründen das teure Milchfett durch Pflanzenfett ersetzt. Auf dieser Basis das Thema »vegane Alternativprodukte zu Molkereierzeugnissen, Fleisch und Wurst« voranzutreiben, war für uns die logische Konsequenz. Abgesehen davon sehen wir uns bei Hydrosol aber auch seit jeher als Impulsgeber. Wir beschäftigen uns aktiv mit Zukunftsthemen und versuchen, Entwicklungen und Trends in der Weltentwicklung zu antizipieren, um frühzeitig Lösungen anbieten und unsere Kunden als möglicher Ideengeber beraten zu können.


Denken Sie, dass die Lebensmitteltechnologie einen größeren Beitrag zur Umgestaltung des aktuellen, nicht nachhaltigen Ernährungsmodells leisten kann? Worin könnte dieser Beitrag bestehen?


Wir eingangs erwähnt, zählt die Lebensmitteltechnologie in meinen Augen zu den Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Es sind die funktionellen Lebensmittelzutaten, die es ermöglichen, aus natürlichen, nachhaltig erzeugten Rohstoffen attraktive Produkte für die Konsumenten in den unterschiedlichen internationalen Märkten herzustellen. Mit unseren Systemlösungen lassen sich schon heute Produkte auf pflanzlicher Basis herstellen, die den tierischen Erzeugnissen in puncto Geschmack und Textur sehr nahekommen. Solche Produkte überzeugen mit ihrem Genusswert, aber auch mit ihrem ökologischen Footprint. Darüber hinaus nimmt auch die Effizienz in der Lebensmittelherstellung zu. Weniger Abfälle und optimierte Prozesse mit unseren Funktionssystemen gestatten neben der Ressourcenschonung die Positionierung zu attraktiven Preisen. Wir sind überzeugt: Einer vielfältigen und für den Verbraucher attraktiven pflanzenbasierten Ernährung gehört die Zukunft!