Die Imkerei liegt im Trend: Privatpersonen und Unternehmen haben die Honigbiene für sich entdeckt und starten »Bienenschutzprojekte«, um der Umwelt etwas Gutes zu tun. Aber wie ökologisch wertvoll ist das Bienenvolk auf dem Dach oder im Garten tatsächlich? Überhaupt nicht, sagen ExpertInnen: Bienenhaltung habe mit Naturschutz nichts zu tun.
Die Honigbiene als »Nutztier«
Das Insektensterben ist ein dramatisches Problem: Immer mehr Bestäuber-Arten sind gefährdet oder bereits ausgestorben. Leider werden in der Diskussion über die »systemrelevante« Biene und das Insektensterben aber immer wieder Honig- und Wildbienen miteinander vermischt. Um den Unterschied zu verstehen, muss man sich bewusst machen, dass die heutige Honigbiene ein gezüchtetes »Nutztier« ist. In Deutschland leben fast eine Million Bienenvölker; eines davon kann je nach Jahreszeit 40.000 Bienen oder mehr umfassen. Die Honigbiene ist also weder ein wildes Tier noch eine gefährdete Art – dafür sorgen die ImkerInnen.
»Die Rettung der Honigbiene hilft der Natur nicht«, sagt der Ökologe Dr. Jonas Geldmann vom Institut für Zoologie an der Universität Cambridge. »Die westliche Honigbiene ist eine kommerziell bewirtschaftete Spezies, die durch ihre massive Verbreitung negative Auswirkungen auf ihre unmittelbare Umgebung haben kann.« Trotzdem gibt es Initiativen, die Honigbienen in Städten und sogar in Naturschutzgebieten fernab der Landwirtschaft fördern und dies als aktiven Naturschutz verkaufen. Auch in den Medien gewinnt man häufig den Eindruck, dass die Honigbienenhaltung eine ökologische Meisterleistung wäre.
Es ist ganz klar, dass Honigbienen für viele Nutzpflanzen lebenswichtig sind – aber für Wildbienen und andere Bestäuber gilt das mindestens genauso. Diese Arten zu bewahren, gehört in vielen Teilen der Welt zu den wichtigsten Herausforderungen im Naturschutz.
Bei Honigbienen sehen wir Parallelen zu den Kennzeichen industrieller Massentierhaltung bei Säugetieren: Die Unterbringung in Behältern, die mit der natürlichen Lebensweise der Bienen in Baumhöhlen nicht vereinbar sind; Eingriffe zur Behandlung von Krankheiten (Ameisensäure gegen die Varroamilbe); Betriebsweisen, bei denen der Tod des Bienenvolkes in Kauf genommen wird, um den Honigertrag zu steigern; manipulative Eingriffe wie das Kürzen der Flügel der Bienenkönigin, um das Schwärmen zu verhindern. In welchem Ausmaß Insekten Schmerzen und Leiden empfinden können, ist nach wie vor ungeklärt. Wir halten es angesichts der Erkenntnislage jedoch für angemessen, im Zweifel eher von ihrer Leidensfähigkeit auszugehen.
Wildbienen: Die besseren Bestäuberinnen?
Honigbienen bilden Staaten, in denen meist zwischen 20.000 und 40.000 Bienen leben. Im Gegensatz dazu sind die Wildbienen, von denen es in Deutschland rund 570 Arten gibt, auf sich allein gestellt. Manche von ihnen leben in kleinen Verbänden (ein Hummelstaat umfasst zum Beispiel 50 bis 500 Individuen), die meisten aber nisten einzeln. Ihren Nachwuchs ziehen die Bienen je nach Art in selbst gegrabenen Gängen im Boden, in morschen Baumstämmen oder auch in leeren Schneckenhäusern auf.
Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Wildbienen für viele Pflanzenarten wichtigere Bestäuberinnen sind als Honigbienen. So wurde in einer Studie mit 41 weltweit angebauten Kulturpflanzen festgestellt, dass Honigbienen nur bei 14 % dieser Pflanzen den Ertrag deutlich steigerten. Wildbienen und andere Insekten erledigten hier den Großteil der Bestäubung und verdoppelten den Fruchtansatz. In Großbritannien fand man heraus, dass Honigbienen dort für nur 25 % aller Bestäubungsleistungen verantwortlich sind.
Für die erfolgreiche Bestäubung von Tomaten sind Honigbienen zu klein – hierfür ist eine stämmige Hummel nötig, die mit ihren Flugmuskeln den Pollen herausschüttelt. Bei Blaubeeren führt die Bestäubung durch verschiedene Wildbienenarten zu einer doppelt so hohen Fruchtausbeute als die Bestäubung durch Honigbienen. Und auch auf Obstwiesen sind Wildbienen die wesentlich effektiveren Bestäuberinnen: »Für die Bestäubung eines Hektars Apfelbäume [sind] wenige hundert Weibchen der Gehörnten Mauerbiene nötig – oder mehrere zehntausend Arbeiterinnen der Honigbiene«.
Honigbienen scheinen also die Leistungen der Wildbienen zu ergänzen – nicht andersherum. Trotzdem finden die Wildbienen in der öffentlichen Diskussion oft nur am Rande Erwähnung, während der Fokus auf den Honigbienen liegt. Das sollte sich dringend ändern, denn knapp über die Hälfte der Wildbienenarten in Deutschland steht bereits auf der Roten Liste.
Bedroht die Honigbiene die Wildbiene?
Bislang wurde überraschend wenig zum Rückgang der Wildbienen geforscht. Die genaue Rolle, die die Honigbiene dabei spielt, ist deshalb nicht eindeutig belegt.
Generell gibt es viele Gründe für das Insektensterben. Dazu gehören Pestizide in der Landwirtschaft, die Verkleinerung des Lebensraums, der dadurch bedingte Mangel an Nistmöglichkeiten und auch der Klimawandel. Vor allem ist hier aber der Nahrungsmangel zu nennen, der dadurch entsteht, dass der Mensch den natürlichen Lebensraum der Insekten immer weiter zurückdrängt. Hier kommt die Honigbiene ins Spiel, denn sie kann diese Problematik verschlimmern.
Nahrungskonkurrenz
Durch den Menschen ist die Dichte an Honigbienen-Völkern in Deutschland deutlich höher, als sie natürlicherweise sein könnte. Das führt zu einer verstärkten Nahrungskonkurrenz mit Wildbienen und anderen Insekten. »Die Haltung von Honigbienen [...] entzieht der Umwelt Pollen und Nektar, [...] die von vielen wilden Bienenarten und anderen Bestäubern benötigt werden«, sagt Juan González-Varo vom Fachbereich Zoologie an der Universität Cambridge.
Während Honigbienen Generalistinnen sind, die Nektar und Pollen an verschiedensten Pflanzenarten sammeln, bevorzugen viele Wildbienen spezielle Pflanzenarten. Etwa 30 % von ihnen sind auf eine Pflanzenfamilie spezialisiert und sammeln ihren Pollen nur dort.
In dieser Konkurrenzsituation sind die Honigbienen klar im Vorteil. Sie leben in riesigen Staaten und haben Kundschafterinnen, die auf Nahrungssuche gehen, während Wildbienen entweder allein oder in viel kleineren Verbänden leben und auch allein ihre Nahrung finden müssen. Dazu kommt, dass Honigbienen einen deutlich größeren Flugradius haben als Wildbienen und auf andere Flächen ausweichen können, wenn das Nahrungsangebot erschöpft ist.
Krankheiten
Wie bei anderen intensiv genutzten Tieren führt die nicht artgerechte Haltung bei Bienen dazu, dass ihr Immunsystem leidet – nicht ohne Grund sind Bienenvölker immer wieder von Krankheiten befallen. Die Krankheitserreger können sie auf Wildbienen übertragen, wenn sie dieselben Blüten anfliegen.
Der Handel mit Honigbienen und der Transport über weite Strecken verschlimmert dieses Problem noch, denn so können sie exotische und teils hoch ansteckende Krankheitserreger einschleppen wie beispielsweise das Flügeldeformations-Virus aus Japan.
Was kann man tun, um den Wildbienen zu helfen?
Ronald Burger, Bienen-Experte vom Institut für Faunistik und Funktionale Artenvielfalt (IFAUN), betont, dass Wildbienen »in struktur- und blütenreichen Landschaften mit einer angemessenen Zahl an verantwortungsvoll gehaltenen Honigbienen-Völkern zurechtkommen« können. Bis dieser Zustand erreicht sei, müsse es aber heißen: »Wildbienen first!«
Um sicherzustellen, dass wildlebende Bienen in Naturschutzgebieten nicht durch »Nutztiere« gefährdet werden, fordern ExpertInnen »Pufferzonen«, in denen Imker ihre Bienenvölker nicht aufstellen dürfen. Doch wir sollten den Wildbienen nicht nur in Naturschutzgebieten Platz einräumen, sondern auch auf landwirtschaftlichen Flächen, in Stadtparks und Gärten.
Auch Sie können den Wildbienen helfen:
Sehen Sie von der Honigbienenhaltung und deren Förderung ab. Schaffen Sie stattdessen auf Ihrem Unternehmensgelände artenreiche Lebensräume mit großem, abwechslungsreichem Blütenangebot.
Fördern Sie ökologische Anbaumethoden in der Landwirtschaft und wirken Sie darauf hin, dass Felder und Umland wildbienenfreundlich gestaltet werden.