Schwere Missstände in norwegischer Lachsindustrie

Norwegen gilt als führend in der globalen Lachsproduktion – doch ein neuer Bericht deckt gravierende Missstände in den Aquakulturanlagen des Landes auf: In »Beneath the Surface: The animal welfare crisis in Norwegian fish farming« enthüllt der norwegische Think Tank Langsikt, dass jedes Jahr Millionen Lachse vor der Schlachtung sterben – vor allem durch Infektionskrankheiten, Parasiten und schlechte Wasserqualität. Auch die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch kritisiert die Bedingungen in einem eigenen Bericht und macht zudem auf die Folgen für die Lebensmittelsicherheit aufmerksam.
Systematische Verstöße gegen den Tierschutz
Lachse sind mit knapp 900 Millionen Tieren die mit Abstand am häufigsten gehaltene »Nutztierart« Norwegens. Das Land kontrolliert über 50 % der weltweiten Zuchtlachsproduktion. Trotz gesetzlicher Vorgaben, wie der Pflicht zur Betäubung vor der Schlachtung oder einer maximalen Besatzdichte von 25 kg pro m³, dokumentiert der Bericht von Langsikt gravierende Mängel:
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Sehr hohe Sterblichkeit:
Jedes Jahr sterben rund 200 Millionen Lachse vorzeitig, vor allem durch Infektionskrankheiten, Parasiten und schlechte Wasserqualität. Auch die zur Bekämpfung von Lachsläusen eingesetzten Putzerfische sind stark betroffen – fast die Hälfte von ihnen überlebt den Einsatz nicht. Damit übersteigt die Sterblichkeit in der Fischzucht die aller anderen Tierindustrien in Norwegen um ein Vielfaches. -
Kranke und tote Junglachse:
Junglachse (Smolts) werden unter unnatürlich hohen Temperaturen und künstlichem Licht gehalten, um ihr Wachstum zu beschleunigen. Dies beeinträchtigt die Organentwicklung, insbesondere des Herzens, und macht sie anfälliger für Krankheiten. Hohe Besatzdichten und schlechte Wasserqualität schwächen das Immunsystem zusätzlich. Rund 60 Millionen Smolte sterben jährlich bereits in dieser frühen Phase. -
Hohe Besatzdichten und chronischer Stress:
Die Enge in den Netzgehegen führt zu aggressivem Verhalten und einem erhöhten Krankheitsrisiko. Viele Tiere erleiden mechanische Verletzungen oder Deformationen, weil sie an den Netzen scheuern oder mit anderen Fischen kollidieren. Außerdem verschlechtert die hohe Besatzdichte die Wasserqualität und die Sauerstoffversorgung. -
Schwere Krankheiten und Gesundheitsprobleme:
Aufgrund der schlechten Haltungsbedingungen leiden viele Zuchtlachse an bakteriellen Infektionen, Herz- und Kiemenerkrankungen. Besonders problematisch sind Wintergeschwüre, das kardiomyopathische Syndrom (CMS) und Lachsläuse. Darüber hinaus sterben viele Fische an Herzversagen, das z. B. durch stressige Transporte oder Behandlungen verursacht wird. -
Schmerzhafte Bekämpfung von Lachsläusen:
Der Parasit Lepeophtheirus salmonis verursacht offene Wunden und schwere Infektionen bei den Fischen. Bekämpfungsmethoden wie die thermische Entlausung (Eintauchen in heißes Wasser durch einen »Thermolicer«) verursachen starke Schmerzen, Stress und Kreislaufversagen, die zum Tod führen können. Die überlebenden Fische sind oft geschwächt und dadurch anfälliger für weitere Gesundheitsprobleme.
Laut Langsikt hat der norwegische Rechnungshof bereits die unzureichenden Maßnahmen und die mangelnde Kontrolle des Tierschutzes in der Aquakultur kritisiert. Verstöße gegen das Tierschutzgesetz werden zudem oft nicht ausreichend verfolgt. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass 37 % der NorwegerInnen aufgrund ethischer und ökologischer Bedenken skeptischer gegenüber Zuchtlachs geworden sind.
Auswirkungen auf die Lebensmittelsicherheit
Auch die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch macht in ihrem Bericht »Faule Fische« auf eine hohe Sterblichkeit und immenses Tierleid in der Lachsindustrie aufmerksam. Neben den schlechten Zuchtbedingungen weist Foodwatch außerdem auf die Folgen für die Lebensmittelsicherheit hin: So hat die norwegische Behörde für Lebensmittelsicherheit mehrere Fälle aufgedeckt, in denen sogenannte »Produktionsfische« illegal exportiert wurden. Als »Produktionsfische« werden Tiere bezeichnet, die Verletzungen, Missbildungen oder andere »Mängel« aufweisen. Bei einer Kontrolle der Firma Lerøy Seafood in Norwegen im September 2023 wurde sogar festgestellt, dass die Firma leblose Lachse aus Käfigen gepumpt und für die Weiterverarbeitung als Lebensmittel vorbereitet hat. Laut der norwegischen Behörde für Lebensmittelsicherheit bestand »eine unmittelbare Gefahr für das Wohlergehen der Fische und die Lebensmittelsicherheit.«
Foodwatch und dem Statistischen Bundesamt zufolge stammte 2023 etwa jeder zweite Lachs in deutschen Supermärkten aus Norwegen. Zudem ist Deutschland der weltweit größte Importeur von verarbeitetem und konserviertem Lachs.
Handlungsbedarf: Verantwortung der Lebensmittelwirtschaft
Die norwegische Lachszucht steht beispielhaft für die gravierenden Probleme der industriellen Fischproduktion. Die Enthüllungen zeigen, dass Tierschutz in der Aquakultur bislang oft eine untergeordnete Rolle spielt – mit dramatischen Folgen für die Tiere und möglicherweise auch für die VerbraucherInnen.
Mögliche Maßnahmen für die Lebensmittelbranche
- Ausschließlich zertifizierte Produkte anbieten
Nur Fisch mit Zertifizierungen von ASC (Aquaculture Stewardship Council), GlobalG.A.P. oder Naturland sollte in den Handel gelangen. Diese Siegel garantieren zumindest grundlegende Standards in der Aquakultur. - Zertifizierungsstandards verbessern
Viele bestehende Siegel decken nicht alle Probleme ab. Unternehmen sollten aktiv darauf hinwirken, dass Tierschutzkriterien verschärft werden. - Pflanzliche Alternativen fördern
Neben zertifiziertem Fisch sollten Unternehmen verstärkt Fischalternativen ins Sortiment aufnehmen. Pflanzliche Produkte bieten eine nachhaltige Möglichkeit, den steigenden Bedarf zu decken, ohne die massiven Probleme der Fischzucht weiter zu verschärfen.
Mit einer konsequenten Strategie kann die Lebensmittelwirtschaft maßgeblich zu nachhaltigeren und artgerechteren Lösungen beitragen – und VerbraucherInnen qualitativ hochwertigere und sicherere Produkte anbieten.