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Haltungsform vs. staatliches Tierwohl-Label

Seit Jahren arbeitet das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) an einer »Tierwohl«-Kennzeichnung. Anfang des Jahres stellte Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner erstmals Kriterien für die Schweinemast vor. Der Lebensmitteleinzelhandel hat zwischenzeitlich eigene Möglichkeiten der Haltungskennzeichnung für Fleischprodukte erarbeitet und diese dann vereinheitlicht. Wir haben uns beide Kennzeichnungssysteme genauer angesehen.

Das staatliche »Tierwohl«-Label

Das Kennzeichnungssystem des BMEL gilt zunächst nur für Schweine. Deren Haltung unterteilt das BMEL in drei Stufen und betrachtet sie anhand von 13 Kriterien. Allerdings sind neun dieser Kriterien in allen Stufen gleich – nur in vier Kriterien gibt es je nach Stufe Unterschiede. Die Verwendung des Labels – und damit die Umsetzung der Kriterien – ist freiwillig. Bislang gibt es noch keinen konkreten Starttermin für das Label. Bezüglich der Mehrkosten geht das Ministerium davon aus, dass Fleisch der ersten Stufe etwa 20 % mehr kosten wird als solches, das anhand der tierschutzrechtlichen Minimalanforderungen produziert wird.

Die Haltungsform-Kennzeichnung des Einzelhandels

2018 entwickelten verschiedene Einzelhändler eigene Label, um die Tierhaltung bei Fleischprodukten kenntlich zu machen. Das erste, das auch den anderen oft zum Vorbild diente, war das Modell von Lidl. Anfang 2019 einigten sich die meisten großen Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels auf eine einheitliche Kennzeichnung unter dem Namen »Haltungsform«.

Das Label gilt zwar für mehr Tierarten (Schweine, Hähnchen, Puten, Schlachtkühe sowie – zu einem Bereich zusammengefasst – Jungbullen/Ochsen, Färsen und Mastkälber). Aber es hat deutlich weniger Vorgaben als sein staatliches Pendant. Es unterscheidet vier Stufen für jede Tierart: »Stallhaltung«, »Stallhaltung Plus«, »Außenklima« und »Premium«. Die erste Stufe entspricht dabei dem tierschutzrechtlichen Minimum.

Aldi Nord und Süd, Edeka, Kaufland, Lidl, Netto Marken-Discount, Penny und Rewe führen das Label schrittweise seit dem 1. April 2019 ein. Die Organisation des Systems übernimmt die Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung mbH. Diese ist auch Trägerin der »Initiative Tierwohl«. Mit dieser fördert und kennzeichnet der Einzelhandel seit 2015 leicht erhöhte Tierschutzstandards in der Schweine- und Geflügelhaltung.

Kennzeichnungssysteme im Vergleich

Direkt vergleichen lassen sich bislang nur die Vorgaben zur Schweinehaltung, wobei sich die Haltungsform-Kennzeichnung explizit nur auf Mastschweine bezieht. Noch unklar ist, ob die Vorgaben des BMEL für Schweine für alle Produktionsstufen, vom Ferkel über die Zuchtsau bis zum Eber, gelten.

Die Tierwohl-Vorgaben des BMEL decken in jedem Fall mehr Bereiche ab und enthalten relativ umfangreiche Vorgaben z. B. zur Ausgestaltung der Ställe und zur Schlachtung. Unterschiede innerhalb der drei Stufen gibt es jedoch nur in Bezug auf das Platzangebot, die Strukturierung des Stalls und des Auslaufs, die Säugephase und das Kupieren der Schwänze. Weitere Kriterien regeln das Wasserangebot, die Kastration von Ferkeln, den Transport zur Schlachtung sowie Kontrollen und Fortbildungsmaßnahmen. Die entsprechenden Vorgaben sind in allen Stufen gleich.

Erschreckend ist, dass das staatliche Label das Schwänzekupieren erst ab Stufe zwei ausschließt. Nach geltendem EU-Recht darf Ferkeln nur in Ausnahmefällen der Schwanz abgeschnitten werden. Dennoch wird es derzeit fast immer durchgeführt, woran sich in Stufe eins nichts ändern muss. Die betäubungslose Ferkelkastration, die ab 2020 in Deutschland verboten sein wird, schließt das staatliche Tierwohl-Label dagegen bereits jetzt aus. Noch nicht völlig geklärt scheint uns allerdings, ob der äußerst problematische »Vierte Weg« (Lokalanästhesie bei der Kastration) ermöglicht wird oder nicht. Die Haltungsform-Kennzeichnung des Einzelhandels enthält hingegen gar keine Vorgaben zu diesen beiden wichtigen Themen.

Die Haltungsform-Kennzeichnung beschränkt sich auf Vorgaben zu Stall und Auslauf, Futter, Beschäftigungsmaterialien und Kontrollsystemen. Das Verbot von gentechnisch verändertem Futter und die Beschränkung auf eigenes oder regionales Futter in den beiden höchsten Stufen ist aus ökologischer Sicht lobenswert. Mit Tierschutzstandards hat das aber nicht direkt etwas zu tun.

Leider gar keine Rolle spielen in beiden Kennzeichnungssystemen folgende wichtige Aspekte: Vorgaben zu den Gruppengrößen, Maßnahmen gegen Überzüchtung oder Verbote für das Abschleifen der Eckzähne.

Die Initiative Tierwohl bindet der Einzelhandel in sein Kennzeichnungssystem ein, indem er sie zur Stufe 2 (»Stallhaltung Plus«) macht. Bezüglich der Haltung von Mastschweinen stellt sie Vorgaben zu Scheuermöglichkeiten für die Tiere, Luftkühlungsvorrichtungen und Tageslicht in den Ställen sowie Antibiotikamonitoring bereit. Insgesamt liegen die Kriterien der Initiative Tierwohl jedoch noch so dicht an den gesetzlichen Mindestvorgaben, dass man mit bloßem Auge kaum Unterschiede erkennt.

Kennzeichnungsstufen

Exkurs: Bio-Haltung

Weder die Tierwohl- noch die Haltungsform-Kennzeichnung sehen biologische Tierhaltung als eine eigene, geschweige denn höchste, Stufe. Das ist richtig, da die rechtlichen Bio-Vorgaben sowie die Haltungsvorgaben der Bio-Verbände in Tierschutzbelangen oft schwach sind – entgegen der Vorstellung vieler Verbraucher. Einige konventionelle Programme sind aus Tierschutzsicht sogar deutlich besser als viele deutsche und europäische Bio-Label. Trotzdem finden sich alle Bio-Produkte pauschal in der Premiumstufe wieder. Das ist nicht haltbar – man denke z. B. an die tierschutzwidrige Anbindehaltung von Bio-Kühen nach EG Öko VO, die alles aber nicht »Premium« ist.

Fazit: Weitere Arbeit notwendig

Da die staatliche Tierwohl-Kennzeichnung mehr Kriterien berücksichtigt und bereits mit der ersten Stufe relativ deutlich über dem gesetzlichen Minimum ansetzt, ist sie das stärkere und logisch weit schlüssigere Instrument, um bessere Haltungsbedingungen zu erreichen.

Die erste Stufe der Haltungsform-Kennzeichnung des Einzelhandels (»Stallhaltung«) ist nur ein anderer Name für die mehr oder weniger gut eingehaltenen gesetzlichen Mindestvorgaben. Aber eine eigene Stufe im engeren Sinn ist sie nicht. Zum Vergleich: Als es im LEH noch Käfigeier zu kaufen gab, wurden diese deutlich mit »aus Käfighaltung« gekennzeichnet. Das hat geholfen, den Marktanteil dieser Eier schrittweise deutlich zu senken. Ein eher positiv klingender Begriff wie »Stallhaltung« wird das nicht gewährleisten.

Erst ab Stufe 2 (»Stallhaltung Plus«) kennzeichnet das System der Supermärkte eine leicht bessere Haltung. Auch sie liegt jedoch noch deutlich unter der ersten Stufe der staatlichen Kennzeichnung und so dicht am gesetzlichen Minimum, dass sie eine eigene Stufe nicht rechtfertigt.

Label Initiative Tierwohl
© Initiative Tierwohl

Zudem ist es problematisch, dass Fleisch der derzeit mangelhaften Haltungsform-Stufe 2 mit Hinweisen wie »Initiative Tierwohl« und einem Häkchen versehen werden. Wie soll der Verbraucher so erkennen, dass hier aus Tierschutzsicht noch etliches im Argen liegt? Und wie soll der Verbraucher so motiviert werden, mehr Geld in die Hand zu nehmen und zu den Stufen 3 und 4 zu greifen, wenn schon Stufe 2 den Eindruck erweckt, als sei das Thema »Tierwohl« abgehakt?

Insgesamt viel sinnvoller wäre es, wenn der Einzelhandel die erste Stufe des staatlichen Tierwohl-Labels zu seiner »Stallhaltung Plus« machen und die Initiative Tierwohl zu diesem Level bringen würde.