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Interview: Nachhaltige Produkte mit dem Eaternity-Score

Eaternity unterstützt Unternehmen aus der Lebensmittelbranche dabei, den exakten Umwelt-Fußabdruck ihrer Produkte zu berechnen und mit einer entsprechenden Auszeichnung zu kommunizieren.

Manuel Klarmann
Manuel Klarmann. © Eaternity

Restaurants und Lebensmittelhersteller greifen auf die Leistungen des jungen Unternehmens aus der Schweiz zurück, um ihre Menüs und Produkte nachhaltig zu gestalten und auszuloben. Wir haben mit Eaternity-Gründer Manuel Klarmann über seine Unternehmensidee und den Zusammenhang von Klimaschutz und Ernährung gesprochen.

Herr Klarmann, warum ist es so wichtig, dass wir unser Essverhalten nachhaltig gestalten?

Manuel Klarmann: Unsere Nahrungsmittelversorgung ist für ein Drittel der weltweit verursachten Treibhausgase verantwortlich. Kein Fortschritt im Transportsektor und keine Energierevolution können den Klimawandel so effizient verlangsamen wie eine intelligente Lebensmittelauswahl.

Würden alle Deutschen dreimal pro Woche klimafreundlich essen, käme die erzielte Klimawirkung dem Wegfall von 3.700.000 Autos gleich. Momentan verursacht das Essverhalten einer Person in Deutschland durchschnittlich rund drei Tonnen CO2 pro Jahr – das ist dreimal mehr als wir es uns für unsere Klimaziele erlauben dürfen. Mit überlegten, saisonalen und regionalen Lebensmittelentscheidungen können wir diese Emissionen um mehr als zwei Drittel verringern.

Die Landwirtschaft steht momentan vor Herausforderungen, die eng mit dem Klimawandel verflochten sind. Die World Bank Group geht davon aus, dass die Erträge aus Grundnahrungsmitteln bis 2050 um 20 % zurückgehen werden. Entwaldung, Biodiversitätsverlust, Bodendegradation und der Verbrauch von Wasser tragen dazu bei, dass die Kapazität der Erde, uns mit Lebensmitteln zu versorgen, abnimmt – und das, während die Nachfrage nach Nahrungsmitteln stetig ansteigt.

Weiter geht man davon aus, dass die Weltbevölkerung in den nächsten 30 Jahren um 20 % anwachsen wird. Wenn man bedenkt, dass bereits heute 40 % der Landflächen von der Landwirtschaft in Anspruch genommen werden, bedeutet dies eine Krise für unsere Lebensmittelversorgung.

Die gute Nachricht ist, dass der Übergang zu einem nachhaltigeren Versorgungssystem einfach ist und mit der Gesundheit Hand in Hand geht. Heutzutage sind starkes Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes für 70 % aller Todesfälle in Europa verantwortlich. Würden wir uns an die Gesundheitsempfehlungen halten, könnten wir die unzähligen, durch die Lebensmittel-Überversorgung verursachten Krankheiten vermeiden und gleichzeitig die negativen Auswirkungen auf das Klima entscheidend verringern.

Wie entstand die Idee zu »Eaternity«?

Manuel Klarmann: Die grundlegende Idee für Eaternity entwickelten wir 2008. Meine Mitgründerin Judith Ellens hatte zu diesem Zeitpunkt gerade ihr Masterstudium »Nachhaltigkeit« begonnen. Zuvor hatte sie Philosophie und Biologie studiert, mit einem Fokus auf Ökologie. So kannte sie die Zusammenhänge: Frisst ein Tier das Andere, geht dabei Energie verloren. Je früher wir Menschen uns in der Nahrungskette bedienen, desto effizienter sind wir.

Damals war »EatLessCO« noch unser Arbeitstitel. Judith trat an der ETH Zürich an einem 24-h-Workshop mit unserer Idee an und gewann den ersten Preis. Details zur Entwicklung von Eaternity habe ich auch in einer TEDx-Präsentation vorgestellt.

Welchen Mehrwert bietet Eaternity für Unternehmen?

Manuel Klarmann: Uns steht die aktuell größte und umfassendste Datenbank zur Berechnung der Umwelteinflüsse von einzelnen Lebensmitteln und ganzen Menüs zur Verfügung. Sie wird regelmäßigen Peer Reviews unterzogen. Zusammen mit unserer Software, der Web-App und API-Anbindung können wir damit effektive Berechnungen auf höchster Detailstufe anbieten.

Für welche Unternehmen eignet sich Eaternity besonders gut?

Manuel Klarmann: Wir unterstützen schon seit einigen Jahren Restaurants dabei, sich Klimaziele zu setzen und diese auch zu erreichen. Die Eaternity-App spielt dabei eine entscheidende Rolle. Damit können die Gastronomen transparent alle Emissionen ihrer Rezepturen und Einkäufe beurteilen und an ihre Kunden kommunizieren. In einem Wettbewerb konnten sechs Restaurants ihre Emissionen mithilfe von Eaternity innerhalb von zwei Monaten um knapp 20 % reduzieren, während die Kundenzufriedenheit stieg.

Seit wenigen Monaten weisen wir auch Lebensmittel in Supermärkten aus. Mit dem »Eaternity-Score« wird den Konsumenten eine informierte Entscheidung ermöglicht. Der Score unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von bisherigen Klima-Lebensmittelkennzeichnungen: Jedes Produkt wird fair mit über 100.000 anderen Lebensmitteln verglichen. Es wird transparent aufgezeigt, wo die Emissionen entstehen und ob das Produkt unserem Klimaziel – also einer Reduzierung der Emissionen um zwei Drittel – bereits entspricht.

Weiter haben wir mit dem Eaternity-Score die Möglichkeit, auch über weitere wichtige Nachhaltigkeitsaspekte der Lebensmittel zu informieren. In der umfangreichen »Smart-Chefs«-Studie konnten wir aufzeigen, dass es wertvoll ist, auch den Wasser-Fußabdruck, die Regenwaldabholzung und das Tierwohl mit abzubilden. Mit der einfachen und schlüssigen Darstellung kommt das gut an.

Mit welchen Unternehmen kooperieren Sie bereits?

Manuel Klarmann: Aktuell arbeiten wir an einer ganzen Menge toller Projekte:

Mit Veganz führen wir den Eaternity-Score in über 4.000 Einzelhandelsmärkten ein. Mit Codecheck machen wir fast 1,6 Millionen App-Nutzern die CO2-Bilanz fast aller Lebensmittelprodukte zugänglich.

Der Lebensmittelhändler CFGastro berechnet die Umweltbilanz all seiner Waren mit uns – Details dazu wird er auf der diesjährigen Internorga präsentieren. Durch den KlimaTeller und die Unterstützung des BMUB haben wir eine spannende Zusammenarbeit mit Nahhaft und Greentable.

Mit Apleona berechnen wir für das betriebseigene Mitarbeiterrestaurant des BMUB in Bonn die CO2-Emissionen des gesamten Menüs. Auch das Amt für Gesundheit Liechtenstein schlägt den Besuchern von http://www.alleswurscht.li nun klimafreundliche Rezepte vor. Mit Climate-KIC und einigen Verwaltungen (wie z. B. der Stadt Zürich und dem Kanton Genf) arbeiten wir daran, die Ernährung zu einem festen Bestandteil der bestehenden Klimaziele zu machen.

Welchen Herausforderungen mussten Sie sich bisher stellen und wie sind Sie damit umgegangen?

Manuel Klarmann: Wir sind eine kleine Organisation, die es aber immer wieder schafft, Menschen für das Thema zu begeistern. Das führt unweigerlich dazu, dass sich größere Organisationen gern an unserer Idee und an unseren Materialien bedienen. Das war am Anfang schmerzhaft, weil der Eindruck zurückbleibt, dass wir ausgenutzt wurden. Am Ende lohnt es sich aber, sein Ego zurückzunehmen. Was letztendlich zählt, ist nicht, welche Organisation dahinter steht, sondern dass möglichst viele Gutes in der richtigen Richtung entsteht. Mittlerweile ermutigen wir sogar dazu, uns zu kopieren.

Was sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Fehleinschätzungen, wenn es um Nachhaltigkeit bzw. speziell den Einfluss unserer Ernährung geht?

Manuel Klarmann: Es hängt immer ein wenig vom gegenwärtigen Trend ab, wohin man den schwarzen Peter schiebt. Letztes Jahr war es die Avocado. Dieses Jahr sind es die Trinkhalme. Was all diesen Aktivismus vereint, ist, dass er konsequent vom eigentlichen Thema ablenkt: Davon nämlich, dass unser Fleisch- und Milchkonsum das Klima zerstört.

Wenn ich drei Tage lang Rindfleisch esse, verursache ich so viele CO2-Emissionen, wie wenn ich ein ganzes Jahr lang Gemüse und Früchte esse. Weder Trinkhalme aus Plastik, Äpfel aus Neuseeland, Avocados aus Südafrika noch generell längere Transportwege mit dem Schiff tragen wesentlich zum Problem bei. Daher können sie auch kein entscheidender Teil der Lösung sein.

Wie sehen Sie die aktuelle politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit? Wo gibt es hier Ihrer Meinung nach noch weiteren Handlungsbedarf?

Manuel Klarmann: Nach wie vor herrscht noch sehr viel Unwille, sich mit dem Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Ernährung auseinanderzusetzen – insbesondere, wenn durch Unwissen eine gewisse Ausweglosigkeit hineininterpretiert wird. Vielen Menschen fällt es schwer, sich zur nachhaltigen Ernährung zu positionieren, wenn sie ihren eigenen Status und ihre Identität auf der täglichen Fleischmahlzeit gründen. Diese Gewohnheiten sind für viele noch schwer umzudenken. Insbesondere betrifft das politische und gesellschaftliche Führungspersonen, die sich schwer tun, hier Position zu beziehen.

Den größten Handlungsbedarf sehe ich darin, die gesellschaftliche Akzeptanz einer pflanzenbasierten Ernährung zu erhöhen. Mit öffentlichen Kampagnen müsste über die Nachteile des Tierproduktkonsums aufgeklärt werden – so, wie man die Menschen früher über die Gefahren des Rauchens aufgeklärt hat, sodass sich die öffentliche Wahrnehmung wandelte. Zur Zeit passiert jedoch noch genau das Gegenteil: Die Politik unterstützt die Milch- und Fleischindustrie mit Millionenbeträgen, um ihnen einen größeren Absatz zu bescheren. Das muss sich ändern.

Desweiteren fehlt bisher einfach noch der Werkzeugkasten, mit dem Staaten und Städte die Emissionen der Ernährung in ihre Klimaziele aufnehmen können, um auch messbar die effektivsten Maßnahmen zu unterstützen. Hier wird noch viel im Dunkeln gerudert und nicht faktenbasiert gearbeitet. Oft scheitert es schon daran, dass die unterschiedlichen Akteure sich nicht einmal auf ein klares Klimaziel einigen wollen. Auch das muss sich ändern.

Letztendlich geht es darum, dass eine CO2-Abgabe eingeführt und so lange hochgeschraubt wird, bis die größten Emissionsverursacher verschwinden. Im Rahmen der Klimavereinbarung ist es das Ziel der Weltgemeinschaft, 45 % der Emissionen bis 2030 zu reduzieren. Der Handlungsbedarf ist also genau jetzt.

Wo liegen die Chancen einer flächendeckenden Nutzung einer Plattform wie Eaternity?

Manuel Klarmann: Eaternity bietet mit seiner Vorarbeit jetzt die Chance, dass wir das Problem nicht nur messen können, sondern dass auch das Werkzeug zur Lösung parat liegt. Jeder Akteur kann damit loslegen. Mit Eaternity können wir jegliche Maßnahme zum Klimaschutz im Zusammenhang mit der Ernährung nach ihrer Effektivität bewerten: Milch- und Fleischersatzprodukte, Biolandbau, Klimamenüs usw.

Häufig hört man, dass Konsumenten sich für eine nachhaltige und gesunde Ernährung interessieren. Dies spiegelt sich jedoch nicht immer im tatsächlichen Verkaufsverhalten wider. Wie schätzen Sie die Relevanz der Kennzeichnung in Bezug auf das Kaufverhalten ein?

Manuel Klarmann: Unterschiedliche Studien zeigen auf, dass sich Konsumenten für die Klimabilanz von Produkten interessieren. Der Civey-Ernährungsreport 2019 zeigt, dass sich von 180.000 Befragten 51 % die Kennzeichnung wünschen. Wie viel sich durch eine Kennzeichnung tatsächlich verändert, zeigt sich erst, wenn es sie gibt.

Eine breite Kennzeichnung von Lebensmitteln dürfte nicht nur das Kaufverhalten beeinflussen, sondern prinzipiell auch die öffentliche Wahrnehmung zum Thema. Den Menschen wird dadurch zum einen klar, dass es möglich ist, die Emissionen zu messen und dass die Emissionen noch nicht die notwendigen Grenzwerte erreicht haben. Zum anderen zeigt die Kennzeichnung, dass es bereits genügend gut schmeckende Lebensmittel gibt, die als Lösung bereitstehen.

Was sind Ihre Pläne für die kommenden Jahre?

Manuel Klarmann: Wir sind noch ein kleines Team. In Zukunft möchten wir weiterhin mit Partnern arbeiten und größere Hebel finden. Unser Fokus wird weiterhin auf unseren Kompetenzen liegen, d. h. auf der effizienten Bereitstellung und soliden wissenschaftlichen Analyse von Umweltdaten.

Zu den Meilensteinen, die wir erreichen möchten, gehört ein Standard für die Nachhaltigkeitsmessung unserer Ernährung. Auch wollen wir ein Nachhaltigkeitsscore auf 10 % aller verpackten Lebensmittel. 10 % der Städte und Staaten sollen sich sinnvolle Klimaziele für die Ernährung setzen und mit Lenkungsabgaben arbeiten.

Weiterhin wollen wir eine Gastronomie-Management-Software in über einer Million Restaurants etablieren und einen Marktplatz für die nachweisbar effektivsten Lösungen bereitstellen.

Das alles soll zu einer weltweiten Reduktion der ernährungsbedingten Treibhausgase um ein Drittel bis 2030 beitragen. Verglichen mit heute sind das 5 Gigatonnen CO2-Äquivalente pro Jahr weniger.

Das sind herausfordernde Ziele, die wir dem ebenso herausfordernden Problem entgegenstellen müssen. In diesem Zusammenhang suchen wir auch explizit noch nach finanzieller Unterstützung und starken Partnern für unsere Arbeit. Wir freuen uns über jeden Kontakt.

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!