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Rekordtief beim Fleischverzehr

Die Menschen in Deutschland haben 2021 so wenig Fleisch gegessen wie noch nie in den letzten 30 Jahren. Insgesamt 55 Kilogramm pro Kopf verzeichnete die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung für das vergangene Jahr – nochmal 2,1 Kilogramm weniger als im Vorjahr, das zuvor als Rekordtief galt. Die Daten, die die Bundesanstalt veröffentlicht, reichen bis ins Jahr 1991 zurück. Der Höchstwert lag 1993 bei 64,4 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr. Seitdem hat der Wert immer wieder geschwankt, ist aber insgesamt stetig gesunken.


Den Großteil des Rückgangs im Vergleich zum Vorjahr macht Schweinefleisch aus (1,2 kg), gefolgt von Rindfleisch (600 g) und Vogelfleisch (200 g). Gerade beim Vogelfleisch ist diese Entwicklung bemerkenswert, da die Verzehrsmengen hier zuletzt noch stiegen. Ursachen für den erfreulichen Trend gibt es mehrere.


Krisen wecken Bewusstsein



Mit Sicherheit ist der Rückgang des Fleischkonsums zum Teil auf das gestiegene Bewusstsein für dessen negativen Aspekte zu erklären. Immer mehr Menschen sehen Tierschutzprobleme und den Beitrag der Massentierhaltung an Umweltzerstörung, Klimaerhitzung und dem Hunger in der Welt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung (55 %) bezeichnet sich laut Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) inzwischen als flexitarisch und verzichtet zumindest ab und zu bewusst auf Fleisch.


Das Image der Fleischbranche leidet, so liest man immer wieder. Das kann, neben den genannten ethischen und ökologischen Problemen, auch an Seuchen wie der Afrikanischen Schweinepest und der Geflügelpest liegen. Sie werden durch die Massentierhaltung begünstigt und erzeugen zudem von KonsumentInnen als unangenehm wahrgenommene Schlagzeilen, z. B. bei »Keulungen« ganzer Tierbestände.



Hinzu kommt die besondere Situation während der Corona-Pandemie. Sie hat nicht nur die teils schlechten Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche in den Fokus der Öffentlichkeit gebracht. Durch Ausgangsbeschränkungen, Homeoffice und weil viele Veranstaltungen ausfielen, kochten auch wieder mehr Menschen zuhause. 30 % der Befragten gab im Ernährungsreport des BMEL an, aktuell häufiger als vor der Corona-Pandemie selbst zu kochen. Möglicherweise entscheiden diese sich dabei eher für fleischlose Gerichte, als wenn sie auswärts essen würden.



Der demografische Wandel hilft nach



Ein weiterer Grund für den Rückgang kann jedoch auch der demografische Wandel sein: JedeR Zweite in Deutschland ist älter als 45, jedeR Fünfte älter als 66 Jahre. Und die Menschen in Deutschland werden immer älter. Ältere Menschen essen eher weniger und verändern möglicherweise auch ihre Ernährungsgewohnheiten, z. B. aufgrund von Krankheiten. Laut Ernährungsreport essen vor allem die Befragten ab 60 Jahren überdurchschnittlich oft Gemüse und Obst.


Die jüngeren Generationen zeigen sich dagegen bewusst politischer und dabei kritischer gegenüber Tierprodukten. Unter den 15- bis 29-Jährigen ist der Anteil an VegetarierInnen und VeganerInnen laut aktuellem Fleischatlas der Heinrich-Böll-Stiftung am höchsten, mit steigender Tendenz. Die »Fridays for Future«-Bewegung hat sicherlich einen Anteil daran. Zugleich sind junge Deutsche laut BMEL aufgeschlossener gegenüber der wachsenden Vielfalt an pflanzlichen und anderen Alternativen zu konventionellen Fleisch- und Milchprodukten.



Infografik Fleischverzehr


Ausblick



Deutschland steht mit seinem Trend weg vom Fleisch global gesehen leider noch relativ allein da. Weltweit hat sich der Fleischverbrauch in den vergangenen 20 Jahren laut Fleischatlas mehr als verdoppelt. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass ehemalige Entwicklungs- und Schwellenländer im Lebensstandard aufholen und sich an den der westlichen Industrienationen annähern. Auch in China, dem bevölkerungsreichsten Land der Welt wächst der Pro-Kopf-Verbrauch. Trotzdem ist er dort im Vergleich noch gering – etwa halb so hoch wie in den USA.


Dennoch: Ganz allein ist Deutschland nicht. Auch in anderen Industrienationen wie z. B. Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland und Italien sinkt der durchschnittliche Pro-Kopf-Verzehr seit einigen Jahren mehr oder weniger stark. Die Erfahrung zeigt: Zwar steigt mit dem Wohlstand auch der Fleischkonsum. Ab einem bestimmten Punkt führen Wohlstand und Bildung jedoch eher zu einem kritischen Umgang mit der Tierindustrie.



Da die Lösung der mit Tierprodukten verbundenen Probleme wie Klimaerhitzung und Biodiversitätsverlust keinen weiteren Aufschub duldet, muss die Zukunft den (Milch- und) Fleischalternativen gehören. Deutschland kann und muss dabei eine Vorreiterrolle einnehmen. Dies birgt für einige Branchen lukrative Entwicklungsmöglichkeiten: Proteinlieferanten können sich jenseits von Tierprodukten breiter aufstellen. Handel, Gastronomie und Caterer, indem sie KundInnen eine zukunftsfähigere Produkt- bzw. Speisepalette anbieten. Hersteller, die mit dem verstärktem Fokus auf pflanzliche Produktentwicklung KundInnen abholen und Umsätze festigen können.