Die Meldungen über den Klimawandel und seine Auswirkungen werden immer bedrohlicher, die Forderungen nach einem Umsteuern immer lauter. Ein neuer Report des Think-Tanks RethinkX zeigt, dass durchaus noch Hoffnung für die Rettung des Klimas bestehen könnte – wenn wir die Lebensmittelindustrie, das Transportwesen und den Energiesektor jetzt grundlegend umgestalten.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Innovationen in der Lage sind, ganze Branchen innerhalb von nur 10 bis 15 Jahren umzukrempeln – man denke nur an Kutschen und Autos, Festnetztelefone und Handys oder analoge und digitale Kameras. RethinkX will politischen EntscheidungsträgerInnen und anderen Verantwortlichen zeigen, dass solche Umstürze nicht linear verlaufen: Der Prozess beginnt zunächst langsam, nimmt dann allmählich an Fahrt auf, bevor er sich exponentiell beschleunigt und abflacht, wenn sich der Markt der Sättigung nähert. Mit genau so einer rasanten Entwicklung gehen die Analysten der Denkfabrik in den genannten Branchen aus.
Umwälzungen in der Lebensmittelindustrie
Wir wollen einen genaueren Blick auf die Umwälzungen in der Lebensmittelbranche werfen. Neben Fleisch aus Zellkulturen nennt RethinkX hier die Präzisionsfermentation und »Food as Software«.Präzisionsfermentation
Mit der Präzisionsfermentation (PF) können Proteine maßgeschneidert hergestellt werden. Die Methode ist eine Weiterentwicklung der klassischen Fermentation, die schon seit Jahrtausenden vom Menschen angewendet wird – etwa bei der Herstellung von Brot oder Bier. Vereinfacht gesagt werden Mikroorganismen bei diesem Verfahren in die Lage versetzt, fast jedes komplexe organische Molekül produzieren zu können. Proteine – aber auch Fette oder Vitamine – können damit in großen Mengen und zu sehr geringen Kosten hergestellt werden. Doch nicht nur der Preis spricht für PF-Proteine: Sie sind auch gesünder, ressourcenschonender und praktischer zu verarbeiten als tierische Erzeugnisse.Das US-amerikanische Unternehmen Impossible Foods nutzt die Präzisionsfermentation bereits bei der Herstellung seiner Hackfleisch-Alternativen. Das StartUp The Better Meat Co. konzentriert sich sogar ausschließlich auf dieses Thema.
Food as Software
»Food as Software« ist eine in der Zukunft mögliche Produktionsmethode. Wenn sich diese Technologie durchsetzt, können Menschen molekulare Rezepte ihrer Lebensmittel erstellen, die dann potenziell überall auf der Welt dezentral in Fermentationsanlagen oder 3D-Druckern hergestellt werden können. Dieses Modell gewährleistet eine ständige Weiterentwicklung, sodass jede Version eines Produkts besser und/oder billiger ist als die vorherige.Auswirkungen auf die Lebensmittelwirtschaft
In ihrem Bericht »Rethinking Food and Agriculture 2020 – 2030« kamen die ExpertInnen von RethinkX bereits vor zwei Jahren zu dem Ergebnis, dass alternative Proteine bis 2030 fünfmal weniger kosten werden als traditionelle tierische Produkte – und bis 2035 sogar zehnmal weniger.Ob sich die Kosten tatsächlich derart drastisch entwickeln werden, bleibt abzuwarten – trifft die Prognose aber zu, lassen sich die potenziellen Auswirkungen auf tierische Nahrungsmittel kaum überschätzen. In ihrem aktuellen Bericht gehen die AnalystInnen davon aus, dass die Nachfrage nach Kuhmilch-Produkten bis 2030 um 70 % fallen wird: »Die gesamte Kuhmilchindustrie wird zusammenbrechen, sobald PF-Technologien die Proteine in einer Flasche Milch ersetzen« (Kuhmilch besteht nur zu 3,3 % aus Protein).
Für die anderen Tierindustrien prophezeit RethingX ein ähnliches Schicksal: »Ein Produkt nach dem anderen, das wir aus Tieren gewinnen, wird durch bessere, billigere, sauberere und schmackhaftere Alternativen ersetzt werden« – was folge, sei eine Todesspirale aus steigenden Preisen und sinkender Nachfrage.