Umweltfreundlich Fleisch produzieren, ohne Tiere zu halten – das mag für viele nach ferner Zukunftsmusik klingen. Dank einiger Unternehmer und Wissenschaftler ist diese Vision jedoch wahrscheinlich nicht mehr weit von der Realität entfernt.
Vor allem in den USA und Israel haben es sich Start-Ups zur Aufgabe gemacht, Fleisch aus Zellkulturen in den kommenden Jahren massentauglich zu produzieren und in die Supermärkte zu bringen. Millionenschwere Investoren unterstützen sie dabei.
Das US-Unternehmen Memphis Meats etwa hat kürzlich Startkapital in Höhe von insgesamt 22 Millionen Dollar generiert – u. a. von dem auf Hochtechnologie spezialisierten Investmentfonds Atomico und von DFJ Venture Capital (bekannt für Investitionen in Twitter, Tumblr und Tesla). Auch die Milliardäre Richard Branson und Bill Gates beteiligten sich. Letzterer hatte bereits zuvor mit millionenschweren Investitionen in ähnliche Unternehmen auf die Branche aufmerksam gemacht.
Auch die Fleischindustrie investiert
Interessanterweise hat mit Cargill erstmals auch ein Vertreter der Fleischindustrie in Fleisch aus Zellkulturen investiert. Memphis Meats gebe den Verbrauchern eine neuartige Möglichkeit, sich mit tierischen Proteinen zu versorgen und passe damit zu Cargills »Mission, die Welt sicher, verantwortlich und nachhaltig zu ernähren«, sagt Sonya McCullum Roberts, Präsidentin für Wagniskapital bei Cargill. Fleischproduzent Tyson und Lebensmittelhersteller General Mills haben offenbar ebenfalls realisiert, dass sich eine nachhaltigere Ausrichtung lohnt: Beide sorgten kürzlich mit millionenschweren Investitionen in das Unternehmen Beyond Meat, das Fleischalternativen aus Pflanzen herstellt, für Aufsehen.
China importiert Technologie aus Israel
Nicht nur Konzerne aus der Lebensmittelbranche interessieren sich für die innovative Technologie – auch auf staatlicher Ebene scheint langsam ein Umdenken stattzufinden. So hat China sich kürzlich mit einem 300 Millionen Dollar schweren »Clean Tech«-Handelsabkommen die Option gesichert, Technologie für Zellkultur-Fleisch aus Israel zu importieren. Erst im vergangenen Jahr hatte die Volksrepublik neue Ernährungsrichtlinien vorgestellt, die den Fleischkonsum der Einwohner um die Hälfte reduzieren und so Gesundheit und Weltklima zugute kommen sollen.
So wird Fleisch aus Zellkulturen hergestellt
Im Grunde wenden die Unternehmen bei der Produktion von Zellkultur-Fleisch dieselben Methoden an, die sich in der regenerativen Medizin bereits bewährt haben – also beim Züchten von neuem Gewebe: Man entnimmt zunächst Zellen aus einem lebenden Tier. Diese werden dann vermehrt und in große Bioreaktoren gegeben, die wie Braukessel aussehen und auch ähnlich funktionieren. Dort nutzen die Zellen das ihnen angebotene Material – etwa Sauerstoff, Zucker und Mineralien – und wachsen zu Muskeln, Fett und anderem Gewebe heran.
Der Niederländer Dr. Mark Post hat diese Technologie erstmals im Jahr 2013 präsentiert. Damals stellte er den ersten Hamburger aus Zellkulturen-Rindfleisch vor. Heute ist Post wissenschaftlicher Leiter der von ihm gegründeten Firma Mosa Meat.
Überblick: die Hersteller von »nachhaltigem« Fleisch
Beim Herstellen von nachhaltigem Fleisch gibt es zwei Ansätze: Einige Unternehmen setzen auf pflanzenbasierte Produkte, die Fleisch in Geschmack und Textur möglichst nahe kommen sollen. Außerdem ist es möglich, Fleisch aus Zellkulturen herzustellen – ohne dass ein Tier dafür sterben muss und ohne dass die Um- bzw. Mitwelt darunter leidet.
Pflanzenbasierte Fleischalternativen
Den Geschmack und die Textur von Fleisch mit Pflanzen zu imitieren, ohne dass ein Unterschied festzustellen ist – das ist das Ziel von Unternehmen wie Impossible Foods und Beyond Meat. Impossible Foods hat Investitionen in Höhe von 257 Millionen US-Dollar im Rücken, die u. a. von Bill Gates, Khosla Ventures und Horizons Ventures stammen. Das Unternehmen kündigte vor Kurzem an, bald eine neue Produktionsanlage in Kalifornien zu eröffnen – die Kapazität wird dann von knapp vier Tonnen im Monat auf rund 450 Tonnen ansteigen. Aushängeschild von Impossible Foods ist der »blutende« Impossible Burger, hergestellt aus Weizen, Kokosnussöl, Kartoffeln und Soja. Dem Unternehmen zufolge benötigt die Herstellung des Burgers 75 % weniger Wasser und 95 % weniger Landressourcen als Rindfleisch. Außerdem verursacht er 87 % weniger Treibhausgase.
Auch für Milch wird an pflanzenbasierten Alternativen gearbeitet, welche denselben Geschmack und dieselben Eigenschaften des Tierprodukts aufweisen. Das Unternehmen Perfect Day produziert Milch ohne Kühe. Die Wissenschaftler nutzen dabei einen relativ simplen Fermentationsprozess, um aus Hefe Milchprotein herzustellen.
Fleisch aus Zellkulturen
Hersteller von Fleisch aus Zellkulturen sind beispielsweise SuperMeat, Meat the Future und Future Meat aus Israel. In den USA hat die bereits erwähnte Firma Memphis Meats 2016 das erste Fleischbällchen aus Zellkulturen präsentiert. In diesem Jahr folgten Hähnchen- und Entenfleisch. Dem Unternehmen zufolge nimmt die Herstellung dieser Produkte bis zu 90 % weniger Wasser- und Landressourcen in Anspruch als konventionelle Fleischprodukte. Mithilfe der oben genannten Investitionen in Höhe von 22 Mio. Dollar will das Unternehmen jetzt mehr Mitarbeiter einstellen und die Produktionszahlen erhöhen. Außerdem will es die Kosten senken – und zwar auf ein Niveau, welches der heute üblichen Fleischproduktion entspricht oder sogar darunter liegt. Der Verkaufsstart ist für 2021 geplant.
Seit Kurzem beteiligt sich auch das durch seine vegane Mayonnaise bekannt gewordene kalifornische Start-Up Hampton Creek am Wettlauf um das erste verkaufsfertige Fleisch aus Zellkulturen. Das Unternehmen will bereits 2018 ein entsprechendes Produkt in die Läden bringen – viel früher also als die Konkurrenz. Ob diese Ankündigung eher dem aggressiven Marketing des Unternehmens zuzuordnen ist oder tatsächlich umgesetzt werden wird, bleibt abzuwarten. Zudem verhandelt man nach eigenen Angaben mit einigen der größten Fleischproduzenten der Welt über eine Lizenzierung der von Hampton Creek verwendeten Technologie.
An nachhaltigen Fischfilets aus Zellkulturen arbeitet unterdessen das Unternehmen Finless Foods. Das erste Produkt des jungen Start-Ups wird roter Thunfisch sein – ein auf der ganzen Welt überfischtes Tier. Der Energieaufwand zur Herstellung wird voraussichtlich niedriger sein als bei der Herstellung von Fleisch aus Zellkulturen, denn Fisch-Zellen geben sich mit Raumtemperaturen zufrieden, während Fleisch-Zellen am besten unter Körpertemperatur gedeihen.
Fleisch aus Zellkulturen: Die Herausforderungen
Ein Problem für die Hersteller von Zellkultur-Fleisch ist es, Zelllinien zu erhalten, ohne immer wieder Zellen aus lebenden Tieren entnehmen zu müssen. Einen wichtigen Durchbruch auf diesem Gebiet haben kürzlich amerikanische Forscher erzielt: Sie kreierten eine »unsterbliche« Zelllinie, mit der prinzipiell jeder Wissenschaftler innerhalb von etwa zwei Wochen ein kleines Puten-Nugget züchten kann – unabhängig von einem lebenden Tier als »Zellreserve«. Zum Vergleich: Putenfleisch auf konventionelle Weise »herzustellen« dauert von der Aufzucht bis zum Tod des Tieres etwa sechs Monate und verschwendet zahlreiche Ressourcen beispielsweise für Bewegungsenergie und Skelettbau. Nicht zuletzt diese Tatsache macht das enorme Potential der neuen Technologie überdeutlich.
Essenziell: Wettbewerbsfähige Preise
Fleisch aus Zellkulturen muss so günstig hergestellt werden können, dass die Produkte gegenüber konventionell hergestelltem Fleisch wettbewerbsfähig sind. Der erste, 2013 von Mark Post vorgestellte Burger kostete noch rund 330.000 US-Dollar. Doch die weitere Entwicklung lässt hoffen: Memphis Meats produziert mittlerweile zu einem Fünfzigstel dieses Preises. Post selbst schätzt, dass die Burger von Mosa Meat im Jahr 2020 etwa 10 Dollar pro Stück kosten werden – und fünf Jahre später so viel wie der günstigste konventionelle Fleischburger auf dem Markt.
Herausforderung: die richtige Nährlösung
Die Kosten sind aktuell auch deshalb noch so hoch, weil ein bestimmter Stoff nur sehr begrenzt erhältlich ist: Als Nährlösung für die Zellen wurde bislang meistens Kälberserum verwendet. Dieses Blut, das den ungeborenen Tieren im Mutterleib entnommen wird, regt die Zellen zur Teilung an. Dass dies aus ethischen und auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht das Mittel der Wahl sein kann, liegt auf der Hand. Die Wissenschaftler von Hampton Creek untersuchen daher bereits alternative Methoden. Ihnen zufolge könnten etwa auch Stoffe aus Pflanzen die Zellen in vergleichbarer Weise dazu anregen, sich zu reproduzieren.
Fleisch aus Zellkulturen: Natürlicher als Massentierhaltung?
Fleisch aus dem Labor – das mag für viele seltsam klingen. Emily Byrd vom Good Food Institute aber gibt zu bedenken, dass diese Art der Fleischproduktion »sicher, sauber und effizient« ist – im starken Kontrast zur industriellen Massentierhaltung: »Hühner wachsen dort sechs bis sieben Mal schneller als sie es in der Natur tun würden. Kühe geben bis zu 10 Mal mehr Milch als es natürlich wäre (...). Fast alle Fleischprodukte werden mithilfe künstlicher Befruchtung und hohen Dosen wachstumsfördernder Medikamente hergestellt.« Demgegenüber sei es doch nur natürlich, Zellen sich einfach teilen und wachsen zu lassen.
Wie reagieren Verbraucher?
»Sobald es sauberes Fleisch gibt, das preislich mit konventionell hergestelltem Fleisch konkurrieren kann, wird das der Anfang vom Ende aller Leiden sein, die mit der industriellen Landwirtschaft in Verbindung stehen«, prophezeit Bruce Friedrich, Leiter des Good Food Institute. Ob das zutrifft, hängt auch von den Verbrauchern ab. Werden sie sich an den Gedanken gewöhnen können, Fleisch aus Zellkulturen zu essen? Mit dieser Frage beschäftigt sich eine aktuelle Umfrage des Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Das Ergebnis: Die Mehrheit der Befragten sieht »im In-vitro-Fleisch eine von vielen möglichen Alternativen zur konventionellen Fleischproduktion« und ist nicht per se abgeneigt.
Fazit: Deutschland muss nachziehen
Die Innovationen im Bereich der Nahrungsmitteltechnologie machen Hoffnung: Setzten sie sich durch, würde das nicht nur Tierleid mindern, sondern auch die Umwelt und die natürlichen Ressourcen schonen.
Deutschland scheint die Zeichen der Zeit jedoch zu verschlafen. Diesbezüglich hat der Philosoph Richard David Precht mit seinem sehenswerten Vortrag beim diesjährigen »Zukunftsdialog Agrar und Ernährung« der ZEIT den Finger in die Wunde gelegt: Wenn Deutschland nicht zügig auf den Zug der alternativen Fleischherstellung aufspränge, würde zukünftig nicht mehr der deutsche Bauer China mit Fleisch beliefern – sondern das Silicon Valley.